Klage gegen Volksinitiative: Hamburg will nicht enteignen müssen
Der Hamburger Senat will die Initiative „Hamburg enteignet“ stoppen. In der Begründung lobt er auch intensiv die eigene Wohnungspolitik.
Im September vergangenen Jahres begann die Volksinitiative mit der Unterschriftensammlung. Nach dem Vorbild der Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ sollen in Hamburg private, profitorientierten Immobilienkonzerne mit mindestens 500 Wohnungen enteignet werden – und die Wohnungen in öffentliche Hand übergeben werden. Damit dürfte es sich um mindestens 100.000 Wohnungen handeln, die danach von einem gemeinwohlorientierten kommunalen Unternehmen verwaltet würden.
Im ersten Schritt hatten sich mehr als 18.000 Hamburger:innen für das Vorhaben ausgesprochen. Im Rahmen der Hamburger Volksgesetzgebung stünde nun ein Volksbegehren an, in dem die Initiative innerhalb von drei Wochen 65.000 Unterschriften sammeln müsste. Ziel der Initiative ist, dass die Mehrheit der wahlberechtigten Hamburger:innen darüber in einem Volksentscheid abstimmt und der Senat dies anschließend umsetzt – ähnlich wie in Berlin, wo ebenfalls eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten für Enteignungen gestimmt hatte. Der dortige Senat allerdings hat die Umsetzung seither blockiert.
In Hamburg kann der Senat Klage gegen diese Durchführung einreichen, wenn er „erhebliche Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit der Initiative hat. Das hatten bereits mehrere SenatorInnen in den vergangenen Monaten angeführt – ohnehin halten SPD und Grüne inhaltlich nichts von Enteignungen als Mittel, um bezahlbaren Wohnraum in Hamburg zu gewährleisten.
Experten sehen kein Problem
Die Gründe, die der Senat anführt, sind vielfältig: So macht er etwa „erhebliche Bedenken“ hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit von Maßnahme geltend. Da eine solche Vergesellschaftung, die im Grundgesetz geregelt ist, bislang noch nicht angewendet wurde, überrascht das kaum. Zugleich hatte allerdings eine Kommission aus juristischen Expert:innen vor einigen Monaten in ihrem Abschlussbericht zur Umsetzbarkeit des Berliner Volksentscheids deutlich gemacht, dass das möglich und verfassungskonform wäre. Auch in einer vorab festgelegten Zahl an im Besitz befindlichen Wohnungen, ab der Immobilienkonzerne enteignet würden, sahen die Expert:innen kein Problem.
Auch in einem anderen Punkt kommt der Hamburger Senat zu einer anderen Einschätzung als die Berliner Expert:innenkommission: Der Senat ist der Ansicht, dass die betroffenen Wohnungseigentümer mehr oder minder zum Marktwert zu entschädigen sind. Indes hatte die Expert:innenkommission herausgestellt, dass die Entschädigungssumme unter dem Marktwert der Immobilien liegen könne.
Nach Ansicht des Senats wären dafür bis zu 7,3 Milliarden Euro fällig – allerdings geht der Senat davon aus, dass lediglich 32.000 Wohnungen von einer Vergesellschaftung betroffen wären, wohingegen die Volksinitiative mit rund 100.000 Wohnungen rechnet. So genau weiß das aber niemand, auch der Senat erklärt, dass „Ermächtigungsgrundlagen für eine entsprechende Datenerhebung nicht zur Verfügung stehen“. So oder so: In jedem Fall sei es ein „Eingriff in den Kernbereich des Haushaltsrechts der Bürgerschaft“ – das sei laut Verfassung nicht zulässig.
Außerdem ist der Senat laut Klageschrift der Ansicht, es sei verfassungswidrig, dass er gezwungen sein könnte, im Falle eines erfolgreichen Volksentscheid „gegen seinen Willen durch persönliche Mitarbeit von Mitgliedern des Senats“ an der Umsetzung mitzuarbeiten. Dies sei ein Bruch des Grundsatzes der sogenannten Verfassungsorgantreue.
Senat lobt sich selbst
Zugleich lobt sich der Senat selbst – und führt seine eigene Politik als wirksamere Maßnahme „zur Gewährleistung einer angemessenen Wohnraumversorgung der Bevölkerung“ an: Durch das mit der Wohnungswirtschaft geschlossene „Bündnis für das Wohnen“ seien in Hamburg in den vergangenen Jahren Zehntausende Wohnungen gebaut worden, wodurch Hamburg „weiterhin eine soziale Metropole für alle“ geblieben sei. Damit sei aus Sicht des Senats nachgewiesen, dass es neben der Vergesellschaftung größerer Wohnungsbestände effektivere, aber weniger eingriffsintensive Maßnahmen gebe.
„In diesem Schriftsatz stehen seitenweise Eigenlob des Hamburger Senats“, beklagt deshalb Marie Kleiner von der Volksinitiative. Dabei sei der Wohnungsbau längst eingebrochen, die Mieten würden weiter rasant steigen. Das sieht auch, als einzige Fraktion in der Bürgerschaft, die Linkspartei so: „Der Senat will lieber seinen Kuschelkurs mit der profitorientierten Wohnungswirtschaft und windigen Investor*innen fortsetzen“, sagt Heike Sudmann, wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!