Klage gegen Spaniens Sofortabschiebung: Über den Zaun – zurück nach Marokko
Spanien steht wegen seiner Abschiebepraxis vor dem europäischen Menschenrechtshof am Pranger. Der Vorwurf: unerlaubte Massenausweisung.
Die Stadt Melilla gehört zu Spanien, liegt aber in Nordafrika an der marokkanischen Küste. Regelmäßig versuchen afrikanische Flüchtlinge, dort auf spanischen Boden zu gelangen, um einen Asylantrag nach EU-Recht stellen zu können. Die Enklave ist deshalb von drei Zäunen umgeben, die drei bis sechs Meter hoch sind.
Im August 2014 versuchte eine Gruppe von 70 bis 80 Afrikanern die Zäune zu überwinden. Mit dabei waren die beiden Kläger, ein Mann aus Mali und der andere aus der Elfenbeinküste. Als sie nach einigen Stunden vom dritten und letzten Zaun herunterstiegen, legte ihnen die spanische Polizei Handschellen an und schickte sie sofort auf die marokkanische Seite zurück.
Die Kläger und ihre Unterstützer sehen darin eine unerlaubte Massenausweisung, weil Spanien keinerlei Prüfung der jeweiligen persönlichen Situation vornahm. Eine siebenköpfige Kammer des EGMR gab den Klägern im Oktober 2017 Recht und billigte ihnen je 5.000 Euro Schadensersatz zu. Dagegen legte Spanien Rechtsmittel ein und verlangte eine Entscheidung der 17-köpfigen Großen Kammer des EGMR.
„Das Urteil der Kammer ist unausgewogen“, kritisierte jetzt Rafael Cavero, der Vertreter Spaniens. „Wenn Spanien den Zugang zu seinem Territorium verhindert, ist das keine Ausweisung“, kein Ausländer habe ein Recht auf Einreise nach Spanien. Wer Asyl beantragen wolle, habe genügend andere Möglichkeiten, argumentierte Cavero, auch direkt an der Grenze.
„Rein theoretische Möglichkeiten“
Für Carsten Gericke, den Anwalt der Kläger (die nicht anwesend waren), sind das „rein theoretische Möglichkeiten“, die in der Praxis nicht funktionieren, vor allem nicht für Menschen aus Subsahara-Afrika. Es gehe auch nicht nur um die Möglichkeit, Asyl zu beantragen, so Gericke, „wer spanischen Boden betritt, könnte auch geltend machen, dass ihm in Marokko Misshandlungen drohen“. Wenn eine ganze Gruppe von Ausländern aus dem Land geschafft wird, ohne auch nur ihre Identität festzustellen sei das ganz eindeutig eine verbotene Kollektivausweisung, so Gericke.
Das Urteil wird in einigen Wochen verkündet. Es ist unwahrscheinlich, dass die Große Kammer des EGMR der spanischen Argumentation folgt. Die Chance, dass Spanien das Urteil dann ohne großes Murren umsetzt, ist relativ gut. Denn der neue Regierungschef Pedro Sánchez von den Sozialisten hat vor dem spanischen Verfassungsgericht selbst eine (noch nicht entschiedene) Klage gegen die Praktiken an der spanischen Außengrenze eingereicht.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!