Klage gegen Obdachlosenunterkunft: Kein Milieuschutz für Reiche
Das Verwaltungsgericht Hannover weist die Klage von Hausbesitzern im Zooviertel ab, die eine Obdachlosenunterkunft dort verhindern wollten.

Die Kläger ahnen wohl, dass sie damit keine gute Figur abgeben. Keiner will sich mit Namen nennen oder fotografieren lassen, keiner will in ein Mikrofon oder eine Kamera sprechen. Das war vor fünf Jahren, als diese Pläne zum ersten Mal öffentlich diskutiert wurden, noch anders. Da gab man in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung bereitwillig Auskunft. Jetzt beäugt man die versammelten Medienvertreter eher misstrauisch.
Das Verwaltungsgericht Hannover hatte am Dienstag zu einem Vor-Ort-Termin geladen, um das Klageverfahren gegen die Baugenehmigung – die sich die Stadt praktisch selbst erteilt hat – abzuschließen.
Eigentlich ist das Verfahren in den besten Händen. Richter Ingo Behrens, Vorsitzender Richter der 4. Kammer und gleichzeitig Präsident des Verwaltungsgerichts, ist für seine ausgesprochen zugewandte und freundliche Verhandlungsführung bekannt. Er legt großen Wert darauf, auch Verfahrensbeteiligten, die wenig Erfahrung mit Gerichten haben, genau zu erläutern, warum etwas auf eine bestimmte Weise verhandelt wird. Das kann er sehr gut und pointiert, was unter Verwaltungsjuristen nicht so häufig vorkommt.
Nervöser Sicherheitsdienst
An diesem Morgen muss er allerdings erst einmal eine gehörige Portion Gelassenheit aufbringen. In dem ehemaligen Schwesternwohnheim, das man sich eigentlich – zumindest von außen – anschauen wollte, sind derzeit Geflüchtete, überwiegend aus der Ukraine, untergebracht. Die private Betreiberfirma und der Sicherheitsdienst nehmen ihren Job sehr ernst.
Sie verbieten erst einmal allen, vor allem den anwesenden Pressevertretern, das Gelände zu betreten, drohen sogar damit, die Polizei zu rufen. Das beißt sich ziemlich mit der Absicht des Gerichtes, hier eine öffentliche Verhandlung durchzuführen. Aber auch hektische Telefonate der anwesenden Vertreter der Stadtverwaltung ändern daran nichts.
Mit 35 Minuten Verspätung eröffnet der Vorsitzende schließlich die mündliche Verhandlung auf der Straße vor der Unterkunft. Die Bericht erstattende Richterin erläutert noch einmal, was hier eigentlich geplant ist: 77 Mikro-Appartements mit eigenem Bad und Kochnische, sechs kleine Wohnungen für je ein Elternteil mit Kind sowie ein Frauenhaus.
Die rund 100 möglichen Bewohner sollen von einem Wachdienst, der rund um die Uhr vor Ort sein wird, und zwei Sozialarbeitern betreut werden. Das Projekt, so wie es von der Stadt konzipiert wurde, soll diese Menschen auf eine eigenständige Haushaltsführung und somit auf eine Reintegration in die Gesellschaft vorbereiten.
Das, argumentiert der Anwalt der Gegenseite, sei ja alles schön und gut – wenn es denn so kommt. Vorläufig müsse man aber erst einmal von dem ausgehen, was die Baugenehmigung umfasst. Und das bedeutet vor allem: 100 zusätzliche Bewohner mit massiven Problemen in einem bisher kleinen, ruhigen Wohnviertel.
Nachbarn wollen Stadtpark nicht teilen
Das, so viel sollte man fairerweise sagen, gehört auch nicht zu den protzigsten. Beim Stichwort „Zooviertel“ denken viele Hannoveraner an Villen und die Residenz des ehemaligen Kanzlers Gerhard Schröder. In dieser Ecke des Zooviertels stehen aber eher gut gepflegte Reihenhäuser und Doppelhaushälften älteren Baujahrs. Trotzdem ist es eine fantastische Wohnlage: Steht man auf den clever verkehrsberuhigten Straßen und blickt in die hübschen Gärten, fühlt man sich wie in einem Vorort, obwohl man sich tatsächlich mitten in der Stadt befindet.
Auch um den unmittelbar angrenzenden Stadtpark machten sich die Anwohner große Sorgen. Der ist ein historisches Kleinod, das bereits 1913 angelegt wurde, aber 1951 zur ersten Bundesgartenschau von namhaften Gartenarchitekten neu strukturiert wurde. Auch diesen Park möchten sie nicht mit den neuen Nachbarn teilen müssen.
Der Anwalt der Kläger versucht, sich auf die juristischen Feinheiten zu konzentrieren. Ist diese Unterkunft wirklich eine zumutbare soziale Einrichtung oder gleicht sie nicht doch eher einem Beherbergungsbetrieb? Letzterer wäre in einem allgemeinen Wohngebiet nämlich nicht zulässig. Und auch wenn das unangenehm sei, müsse man den Störfaktor ernsthaft in Erwägung ziehen, argumentiert er.
Horrorszenarien wie am Bahnhof
Der Anwohner neben ihm, ein älterer Herr, möchte sich mit solchen Feinheiten nicht aufhalten. Er zeichnet lieber wortreich Horrorszenarien: Von 90 Leuten, die hier ausschwärmen und das Wohngebiet überschwemmen würden, weil sie ja den ganzen Tag nichts zu tun hätten. Sie würden sich draußen versammeln, trinken, Drogen nehmen, Lärm machen und Müll hinterlassen. Man kenne ja die Zustände am nahen Amtsgericht hinter dem Bahnhof, wo dann die Spritzen in den Hauseingängen lägen.
Das ist allerdings der Punkt, wo der Vorsitzende Richter ihn freundlich einbremst. Ihn erinnere hier gar nichts an diese Zustände, erklärt Behrens. Und da der Herr ja kein Kläger, sondern nur Anwohner sei, sei er in dieser Verhandlung eigentlich auch nicht redeberechtigt.
Die eigentlichen Kläger schauen resigniert drein. Das Gericht wird sich die Lage noch einmal von ihren Grundstücken aus ansehen. Doch schon jetzt ahnt man: Die Erfolgsaussichten sind nicht überwältigend.
Nach einer kurzen Beratung in der Auffahrt eines der Kläger verkündet die Kammer ihr Urteil: Die angestrebte Obdachlosenunterkunft sei als soziale Einrichtung zu charakterisieren. Sie führe auch nicht zu unzumutbaren Störungen oder sonstigen Verletzungen der Nachbarschaftsrechte.
Immerhin handele es sich hier nicht um eine Notunterkunft, sondern um ein auf Dauer angelegtes Wohnprojekt mit entsprechender Betreuung. Sowohl der Eingang als auch die Aufenthaltsbereiche lägen auf der vom Grundstück der Kläger abgewandten Seite ganz am Rand des Viertels. Die Klage wird abgewiesen.
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