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Kirchentag in BremenDie Abscheu vor der Gier eint alle

100.000 Menschen versammeln sich zum Glaubenstreff - weniger als in den Neunzigern. Dabei liefert die Finanzkrise auch auf dem Kirchentag die moralische Munition.

Im Glauben vereint: Mit Kerzen versammeln sich Evangelen an den Bremer Wallanlagen und anderswo am Mittwochabend. Bild: dpa

BREMEN taz | Auf Kontroversen trifft man eher am Rande. Torsten der "Enttäufer", von dem man sich mit Wasser oder Blut das Sakrament "abwaschen" lassen kann, sorgt am Donnerstag für sanfte Irritationen und Aggressionen in der Bremer City. Im 600-seitigen Programm des 32. Evangelischen Kirchentags taucht der Anarchoaktivist aber nicht auf.

Der Kirchentag wurde Mittwochabend eröffnet. Zwar hat das Ereignis nicht mehr die Größe der 1990er, als es bis zu 150.000 DauerteilnehmerInnen anzog, doch bleibt das Dirigieren der verbliebenen 100.000, davon ein Drittel Mitwirkende, eine logistische Meisterleistung. Auch machen sie das Forum zum wichtigen Termin für PolitikerInnen: Selbst Linksfraktionsvize Bodo Ramelow empfahl, die Glaubensveranstaltung ernst zu nehmen.

Neben der Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) bedachten Bundespräsident Horst Köhler, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der EKD-Ratsvorsitzenden Bischof Wolfgang Huber und lokale Big Names die Besucher der Auftaktgottesdienste mit Gruß- und Andachtsworten.

Niemand ließ sich dabei nehmen, Gier, Egoismus und deregulierte Märkte als Ursachen der Krise zu benennen und davor zu warnen, Schuldige zu benennen. Schließlich könne, so Köhler, "jeder seinen Beitrag leisten, die Welt ein bisschen besser zu machen".

Schillernd oder gar streitbar geht anders - und scheint auch nicht mehr Hauptanliegen des Protestantentreffs zu sein. Schon optisch: Während früher kräftig farbige Halstücher politische Botschaften verkündeten - für Abrüstung, gegen Apartheid oder, zuletzt, für eine andere Globalisierung - sind die Tücher diesmal mausgraublau. Der Aufdruck lautet: "Hier bin ich" - ein Jesaja-Wort, gewiss, aber ein recht wertungsfreies.

Kein Wunder, dass daneben Figuren wie der Enttäufer Torsten mit schwarz-weiß-gemustertem Hemd und vor den Kopf geschnalltem Schild auf dem Marktplatz zum Lieblingsmotiv fotografierender Touris gerät. Zwei "Enttaufscheine" immerhin kann er ausfüllen, auch wenn er mit der Empfehlung, "die eigene Moral jenseits der Kirche zu finden," vornehmlich auf Ablehnung stößt: Was der Quatsch solle, raunzt ihn ein kräftiger Pfadfinder an, der auf Nachfrage erklärt, zur "Eingreiftruppe" des Ordnungsdienstes zu gehören.

Aber der Stadtraum ist frei. Bei den Großpodien hingegen ist spontane Beteiligung vorab kanalisiert: So hatte die Kirchentagsregie beim Forum "Menschenwürde und Demokratie" Zettel vorbereitet, auf denen sich das Publikum mit Fragen an die Prominenz beteiligen durfte - und zögerte nicht lange, einen Zwischenrufer durch Ordner entfernen zu lassen.

Zum Thema plauderten Angela Merkel und der Historiker Timothy Garton Ash. Und Tausende wollten der Bundeskanzlerin zuhören, wie sie sich mit Ashs These auseinandersetzt, das vereinigte Europa sei ein Bund liberaler Demokratien, dessen Bedeutung durch gemeinsames außenpolitisches Handeln wachse. Sie hat genickt und beteuert, in der Haltung gegenüber Birma sei dies schon wirksam geworden.

Bild: dpa

So friedlich gestimmt lassen sich alle Gegensätze ins selbe Format bringen: Das zeigt sich besonders auf dem "Markt der Möglichkeiten", der ökologische "Chancen für die Welt" ausloten will. Wo aber auch die "Freien christlichen Motorradfreunde" ihren Stand haben: Sie bieten die Schrift "In freiem Fahrtwind will ich dich loben" feil und erlauben, dicke Maschinen zu bewundern.

Andere harte Jungs haben ihren Monstertruck längs des Doms vorgefahren, um musikalische Breitseiten samt Licht- und Knalleffekten zum Besten zu geben: die Big Band der Bundeswehr. Dass deren Bühne einen der zentralen Plätze dominiert - und dabei Rekrutenwerbung betreibt -, charakterisiert den neuen Geist der Institution Kirchentag: "Die Allianz zwischen Kirche und Militär funktioniert wieder", kritisiert die örtliche Friedensbewegung.

Mitarbeit: Benno Schirrmeister, Klaus Wolschner

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14 Kommentare

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  • R
    Ralf

    Liebe EKD,

    sehr aufschlussreich, dass ihr die Seite

    www.kirchentag.de/dabei-sein/preise.html

    entfernt habt.

    Ihr habt aber vergessen, das Dokument

    http://www.kirchentag.de/uploads/media/DEKT_AnmeldenInfos.pdf

    zu entfernen, auch hier kein Hinweis, das es Härtefälle geben kann.

    Also schnell entfernen.

    Auf meine Email-Anfrage vom 21.5.09 an v.knoell@kirchentag.de,

    „...Wie oft wurde bei diesem Kirchentag die Härtefallregelung bei Hartz-IV EmpfängerInnen überprüfbar angewandt?...“

    erhielt ich bislang natürlich noch keine Antwort.

  • H
    hto

    “Die Zensur is’ die jüngere von zwei schändlichen Schwestern, die ältere heißt Inquisition." (Johann Nepomuk Nestroy) - vereint ist die Masse in der Pflege der GLEICHERMAßEN unverarbeiteten / MANIPULIERBAREN Bewußtseinsschwäche von Angst, Gewalt und "Individualbewußtsein" auf Sündenbocksuche.

  • M
    Max

    @ Felix Guthammer:

     

    Danke für den Hinweis! Der Oberpfaffe Huber spielt nicht mit den Schmuddelkindern - das hat er finanziell auch nicht nötig, seit Adolf Hitler die Kreuzkriechsteuer eingeführt hat, zum Dank für die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz.

  • W
    wog

    Kleine Fußnote zu dem Beitrag von Ralf:

     

    1. Die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern wird wohl schlau genug sein, eine Familiendauerkarte für € 138 zu nehmen anstelle dreier Einzelkarten.

     

    2. Mit etwas Glück hat sie von der Aktion "Kirchentag für alle" gehört. Dann bezahlt sie als ALG II-Bezieherin pro Tag und Person € 5.

     

    Zugegeben: Auch das ist für ALG II-Bezieher viel Geld. Trotzdem, Ralf, fände ich es einen feinen Zug, sich über Fakten schlau zu machen, bevor man diese dann kritisch wertet.

  • H
    hto

    Ja, man muß dieses Spektakel wirklich ernst nehmen, denn da zeigt sich ein wesentlicher Teil dieser heuchlerischen wie zynischen Welt - und "Werteordnung" im Wettbewerb um das "Recht des Stärkeren" der "freiheitlich"-konfusionierten Marktwirtschaft - Hierarchie in material. "Absicherung" von "WER SOLL DAS BEZAHLEN?" und gebildeter Suppenkaspermentalität auf stumpf- wie wahnsinniger Sündenbocksuche.

     

    Die Wahrheit, daß Christus vergleichswürdig / -weise ein erster Sozialist war, das geistig-heilende / gottgefällige Selbst- und Massenbewußtsein wollte und somit den geistigen Stillstand seit der "Vertreibung aus dem Paradies" beenden wollte, dafür sind diese auf Wellness trainierten Konsumautisten offensichtlich nicht bereit - "Abscheu" ist ein normales SYMPTOM von ignoranter Arroganz in der Führungs- / "Vorbild"funktion von Ausbeutung und Unterdrückung.

  • H
    hto

    Ja, man muß das Spektakel wirklich ernst nehmen, denn dort zeigt sich ein wesentlicher Teil des Ungeistes dieser heuchlerischen wie zynischen Welt- und "Werteordnung".

  • FG
    Felix Guthammer

    Ein Zwischenrufer - nämlich ein in seiner Existenz bedrohter Milchbauer - wurde von Ordnern entfernt!

    Das sagt eigentlich alles über unsere Christen.

    Und wenn die einzige, die etwas Reelles von der Demokratie hat (Einfluss z.B.), nämlich Merkel, einen auffordert, seine Freiheit zum politischen Handeln zu nutzen, so kann man nur noch leise schmunzeln.

  • R
    Ralf

    wer von:

     

    # Menschen mit Behinderung

    # ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher

    # Grundsicherungsempfängerinnen und -empfänger

    # Rentnerinnen und Rentner (wenn es deren wirtschaftliche Lage erfordert)

    (http://www.kirchentag.de/dabei-sein/preise.html)

     

    49 EURO für die Dauerkarte verlangt und diese somit faktisch ausgrenzt, andererseits aber mehrere Millionen EURO bei Lehman Brothers in den Teich setzt, der darf sich nicht wundern, dass dann auch einmal genauer hingeschaut wird.

     

    Welche alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern kann es sich leisten, 147 EURO für so eine Veranstaltung zu bezahlen? Als nichtzahlende Mitglieder sind sie wahrscheinlich auch eher unerwünscht, nicht wahr?

     

    0 EURO wären angemessen, dann kämen auch mehr Teilnehmer.

  • V
    vic

    "Torsten der Enttäufer"... Großartig!

    Nur schade, dass Torsten nicht Johannes heißt.

  • E
    Ebs

    @mathis weselmann

    nun lieber herr weselmann, wie man ihrer eigenen kritischen aufzählung entnehmen kann, handelt es sich scheinbar eben nicht nur um das sprichwörtlich einzelne haar in der (protestantischen) suppe..

    Nixfürungut & peace ej.

  • M
    mar

    Ja, der Artikel ist mal wieder reichlich unentspannt und total daneben. Aber die taz kriegt jedesmal Panik, wenn etwas Religiöses auftaucht, das irgendwie gut sein könnte. Dann sind Abwehrrituale angesagt, ja beinah Teufelsaustreibung. Das ist die private taz-Religion :-) Arm dran, die Jungs und Mädels. Sie haben's nicht verstanden. O Herr, schmeiß Hirn vom Himmel! :-))

  • DR
    Daniel Röhrig

    Die kalkulierte Provokation ist doch der Kirchentag selbst. Eine Okkupation des öffentlichen Raums durch eine gestrige Institution, die ihre freiheitsfeindliche Ideologie längst unter Beweis gestellt hat.

  • R
    Robbespierre

    Viele Protestanten votierten für Hartz4, beuten im Arbeitsleben Menschen aus und beteten neoliberale Glaubensätze nach. Mein Vater, aktiv im Widerstand gegen die Nazis, sagte schon: "In der Woche vernichten sie Menschenleben und Schicksale, am Sonntag beten und singen sie". Es mag sicherlich auch Fundamentalisten unter ihnen geben, aber die meisten sind wohl Heuchler.

  • MW
    Mathis Weselmann

    Auf der Suche nach dem Haar in der Suppe. Herzlichen Glückwunsch, die Suche ist erfolgreich.

    Sei es, die um ein drittel reduzierte Teilnehmerzahl, wo doch Ostermärsche und Maidemonstrationen ihre Zahlen gehalten haben.

    Sei es, dass man sich von kalkulierter Provokation provozieren lässt, wo doch das Wegducken eine bekannte christliche Tugend ist.

    Sei es, dass man den Widerspruch zwischen Friedensbewegung und Militär, zwischen Bikern und Umweltbewegungen einfach so hinnimmt.

    Sei es, dass man nicht jedem Straßenprediger ein öffentliches Podium überlassen will, für das andere eingeladen wurden.

     

    Welch politischer Bedeutungsverlust! Welch Heuchelei der Protestanten! Ach, wenn doch Gegenteil der Fall wäre! Man stelle es sich vor...

     

    ...

     

    Etwas, das ich beim Lesen der TAZ in letzter Zeit häufiger denke: Satire und Kritik tun nur dann weh, wenn sie treffen... Sonst sind sie mehr das sanfte Bauchstreicheln bei Leuten, die ohnehin der gleichen Meinung sind...