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Kirchen präsentieren SozialthesenPapier voller Sprechblasen

Gemeinsam haben die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche Leitlinien für eine „gerechte Gesellschaft“ formuliert.

Robert Zollitsch (r.), Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, und Nikolaus Schneider, Vorsitzender der Evangelischen Kirche (EKD) präsentierten das Papier. Bild: dpa

BERLIN taz | In einem gemeinsamen Papier legten die beiden großen Kirchen in Deutschland am Donnerstag Thesen für eine „erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung“ vor. Die 60seitige Schrift unter dem Titel „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ beschäftigt sich mit Sozialpolitik, Wirtschaftsordnung und Ökologie und möchte eine „breite gesellschaftliche Debatte“ anstoßen.

In dem Papier warnen die Kirchen davor, „Gewinnmaximierung um jeden Preis“ anzustreben. Mit Blick auf die Finanzmarktkrise habe sich gezeigt, dass die „Ideologisierung der Deregulierung“, die die Politik jahrelang dazu drängte, die Märkte sich selbst zu überlassen, widerlegt worden sei. Konkrete Forderungen gehen aus dem Papier kaum hervor.

Armut müsse nicht nur in der materiellen, sondern auch in der „sozialen und kulturellen“ Dimension in den Blick genommen werden. Insgesamt sei die soziale Ungleichheit in den letzten 30 Jahren in Deutschland gewachsen. „Damit sind Anfragen an die Gerechtigkeit der sozialen Verhältnisse verbunden“, heißt es in den Papier, ohne jedoch konkreter auf Verteilungsfragen einzugehen.

Bei der Rente mit 67 müsse „alles dafür unternommen werden, dass diese Altersgrenze prinzipiell von allen Berufstägigen auch erreicht werden kann“, heißt es. Die Kircheninitiative lobt die Vorhaben der Großen Koalition wie die Mütterrente und den Mindestlohn. „Anpassungsmaßnahmen“ im Rentensystem werden aber weiterhin „unvermeidlich“ sein. Und beim Mindestlohn müsse darauf geachtet werden, dass „bestehende Arbeitsverhältnisse nicht verdrängt werden“. Die Hartz-Reformen werden rückblickend für gut befunden, da sie dazu beigetragen hätten, die Arbeitslosigkeit zu senken.

Anknüpfen an 1997

Mit dem Papier möchte die Kirche an das berühmt gewordene „Sozialwort“ der Ökumene von 1997 anknüpfen. Damals wurden Massenarbeitslosigkeit und Armut in langen Passagen gegeißelt. Das Papier, das nach einer breiten Diskussion in der Kirchenbasis entstand, galt als ein Meilenstein im Widerstand gegen neoliberale Politik. Damals war eine Regierungskoalition aus Union und FDP an der Macht, die ein Jahr später abgewählt wurde.

Im Unterschied zum Sozialwort von 1997 wurde das neue Papier jedoch ohne eine so breite Beteiligung der Basis geschrieben. Kritik daran kommt aus der Kirche selbst. Johannes Stockmeier, Präsident der Diakonie Deutschland, bemängelte, dass weder der Umgang mit pflegebedürftigen Menschen noch die Migration in dem Papier eingehender thematisiert werden.

Der Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD kritisierte, dass man sich für die neue Initiative „klarere Worte und zukunftsweisendere Überlegungen“ gewünscht hätte. Mögliche Streitpunkte würden durch „vage Sätze überdeckt“. Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund als auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) lobten die Schrift.

Die Religionsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Kerstin Griese, erklärte, die Sozialinitiative sei „ein wichtiger gemeinsamer Schritt, aber es fehlen deutlichere Worte für eine gerechte Wirtschaftsordnung“.

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11 Kommentare

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  • H
    heide

    solange die kirchenfürsten auf der goldenen seite der gesellschaft stehen, sollten nicht dummes zeug in die welt setzen.

  • I
    Irgendwer

    Diese "Geistlichen" sind wahrhaft Gläubige, denn sie glauben tatsächlich, daß ihnen noch jemand glaubt.

  • G
    gast

    Empört mich immer wieder, die Geistlichen haben ihr bequemes Auskommen, weil der Staat für sie die Kirchensteuer eintreibt, aber vom Alltag und den Nöten der Erwerbstätigen sind sie abgekoppelt. Hin und wieder veröffentlichen sie dann solche schwammig formulierten Pamphlete, mit denen wechselseitig Politiker, Wirtschaft oder Gesellschaft ermahnt werden. Eine Imagekampagne mit der die "Schäfchen" bei der Stange gehalten werden sollen, damit die Einnahmen nicht wegbrechen.

  • S
    Sepp290

    Liebe TAZ bitte grad denen keine Bühne bieten die ausschließlich von der Umverteilung von unten nach oben Leben und uns dann auch noch mit ihrer Heuchelei belästigen...

  • K
    Kiribati

    Don`t worry, Religion ist heilbar!!

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Wen's interessiert und abgleichen möchte, die wahnsinnigen "Geistlichen" haben schon 2000 folgendes (v)erbrochen:

     

    https://www.ekd.de/presse/1162.html

  • Die sollten erst einmal Gerechtigkeit in ihren eigenen Sozialstrukturen herstellen.

  • AS
    Alter Schwede

    Hartz IV wird von den Kirchen also für gut befunden. Damit ist alles gesagt. Beten und Arbeiten im Dienst des Kapitals. Diese Heuchler! Amen!

     

    Aus dem Papier:

    "Mit den zurückliegenden Arbeitsmarktreformen wurden Arbeitslosen- und Sozialhilfe durch das Arbeitslosengeld II ersetzt und das neue SGB II konsequent auf Aktivierung („Fördern und Fordern“) umgestellt. Ziel war es, für alle Arbeitslosen, insbesondere Langzeitarbeitslosen, durch kürzere Bezugsdauern und die Senkung der Zumutbarkeitsgrenzen den Druck zu erhöhen, eine Beschäftigung aufzunehmen

    und so aus dem Transferbezug auszusteigen. Politik, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände dürfen in ihren Anstrengungen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit nicht nachlassen."

     

    Die Spitze der SPD ist sowieso mit bekennenden Christen-fundies durchseucht (Nahles: "Frau, gläubig, links"). Aber jetzt jubelt auch noch der DGB, der sich nicht mal wundert, wenn er mit dem BDA einer Meinung ist. Der Einfluss der Kirchen bei der rechten Pseudo-Linken ist erschreckend. Jedoch auch nachvollziehbar, angesichts des intellektuellen Niveaus ihrer Führungskader.

  • DS
    Denken statt Glauben

    Da Gott den Anspruch stellt, eine Religion nicht frei wählen zu können, vertritt er nicht meine Werte und Normvorstellungen. An einen solchen Gott zu glauben, der Schwule in die Hölle schickt, möchte ich nicht.

     

    In diesem Sinne, sollten Gläubige aufhören, Werte zu heucheln, die nicht konform mit ihrem Glauben gehen.

     

    Gerechte Gesellschaft und Religion ist ein unfassbar widersprüchliches Konzept.

  • L
    lightly

    Wie soll das gehen?

    Die Kirchen sind doch die Nutznießer des Systems!

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Die Basis hat sicher in Gestalt der Betriebsräte und Gewerkschaften des Arbeitgebers Kirche mitgewirkt. Und die Arbeitsgruppe "Soziale und kulturelle Armut" wird wahrscheinlich von Tebartz von Elst geleitet. Politkern kann man schon nicht trauen, noch viel weniger jedoch dem Klerus.