Kinotipp der Woche: Ungleiche Jahre
Vampire der Armut und Melancholie in Athen: Die Woche der Kritik stellt in ihrer 11. Ausgabe die Klassenfrage und lädt wieder zu Konferenz und Filmen.
![Eine Gruppe junger Menschen sitz auf den Marmorstufen eines Gebäudes in Athen. Sie tragen Sonnenbrillen und heben eine Faust in die Luft. Eine Gruppe junger Menschen sitz auf den Marmorstufen eines Gebäudes in Athen. Sie tragen Sonnenbrillen und heben eine Faust in die Luft.](https://taz.de/picture/7524487/14/CE-QU-ON-DEMANDE-A-UNE-STATUE-4-1.jpeg)
Die Welt geht gerade unter, da ist es nur folgerichtig, sich so kämpferisch zu geben wie die elfte Ausgabe des Filmfestivals Woche der Kritik, das wie immer weitgehend parallel zur Berlinale statt findet. „Zurück zur Klassenfrage – Filme und soziale Ungleichheit“ lautet in diesem Jahr der Titel der Auftaktkonferenz, die am 12. Februar in der Akademie der Künste statt findet, bevor es mit dem Filmprogramm acht Tage weiter im Hackesche Höfe Kino geht.
Dort beispielsweise mit einem Film wie „Vampires of poverty“ von Luis Ospina und Carlos Mayolo. Das halbstündige Werk ist zwar bereits fast 50 Jahre alt, aber sein beißender Spott über die Armut der einen, mit der die anderen auch noch Geld verdienen, verfängt auch heute noch. In der Mockumentary durchstreifen ein paar Leute vom Fernsehen im Auftrag eines deutschen Senders die kolumbianische Stadt Cali, um mit der Kamera ein paar hübsche Bilder für die bestellte Armutsreportage einzufangen.
Bettler werden ungefragt gefilmt, Kinder dazu animiert, nach ein paar Münzen in einem Brunnen zu tauchen und dann wird noch eine ganze Familie gecastet, der es eigentlich ganz gut geht, die aber erzählen soll, dass sie am Hungertuch nagt. Die Menschen in Cali sind nur noch genervt von den Fernsehleuten mit der guten Bezahlung aus dem reichen Deutschland und klagen: Die Vampire der Armut sind wieder unterwegs. Bis einer kommt und sagt: ihr könnt euch meine Armut nicht kaufen.
Woche der Kritik. 12.–20. Februar. Eröffnungskonferenz „Zurück zur Klassenfrage – Filmkultur und soziale Ungleichheit“: Akademie der Künste (Pariser Platz), 12. Februar 2025, 18 Uhr; Filmprogramm: Hackesche Höfe Kino; Infos zum Schwerpunkt: wochederkritik.de
Auch in „What We Ask of a Statue Is That It Doesn’t Move“ (2023) von Daphné Hérétakis haben ein paar Menschen das Gefühl, nur noch Teil einer Kulisse zu sein, begafft von reichen Touristen, die in Athen nach den Spuren des antiken Griechenlands suchen und sich als Höhepunkt natürlich das Parthenon ansehen wollen.
Die jungen Leute haben langsam genug von ihrer eigenen Melancholie und davon, sich selbst in diesem Athen wie Jahrtausende alte bewegungslose Statuen vorzukommen. Also kommen sie auf die Idee, es so machen zu wollen wie die guten alten Futuristen: der ganze überkommene Krempel muss weg und das Parthenon in die Luft gesprengt werden. Wer ist mit dabei? Kaum jemand, der revolutionäre Geist ist kaum irgendwo zu finden und die Melancholie bleibt deshalb weiterhin grenzenlos.
Lang- und Kurzfilme, neue Produktionen und Klassiker, es geht mal wieder drunter und drüber beim Filmprogramm der Woche der Kritik. Der Blick auf die Vielfalt des globalen Kinos soll hier geschärft werden. Auch dadurch, indem gezeigt wird, mit welch einfachen Mitteln und ein paar guten Ideen bereits ein interessanter Film entstehen kann.
Beispielsweise der Kurzfilm „Tragedy“ von Bernardo Zanotta. Der Filmemacher zeigt ein paar wacklige Aufnahmen einer Videokamera. Auf denen ist ein Mann zu sehen und eine Frau, mal im Garten, mal in einem Haus. Dann wird erzählt, dass diese Bilder einen Mord dokumentieren würden, die Spannung steigt also. Man erlebt die Magie des Kinos nun in einer Art Workshop, sieht, wie eine haarsträubende Geschichte entsteht, indem zu einfachen Bildern etwas erzählt wird, was diesen eine neue Bedeutung verleiht.
Auch so ein Meisterwerk der einfachen Mittel ist „Sleep#2“ des gefeierten rumänischen Regisseurs Radu Jude. Er schneidet hier das im Zeitraum eines Jahres entstandene Best of von Aufnahmen einer Web-Cam aneinander, die auf das Grab des Popart-Meisters Andy Warhol in Pittsburgh gerichtet ist.
Wie der Titel andeutet, hat man es hier mit einer Hommage an Warhols Experimentalfilm „Sleep“ zu tun. Man sieht also Warhols Grab bei Tag und bei Nacht, mal umschlichen von einem streunenden Hund, dann belagert von einer ganzen Reisegruppe. Eine Stunde lang immer nur ein Grab zu sehen, das kann, wirklich wahr, regelrecht kurzweilig sein.
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