Kinotipp der Woche: Surreal durch die Welt
Die 24. Französische Filmwoche bewegt sich quer über Kontinente und findet zu ungewohnten, sensiblen und absurden Bildern. In diversen Berliner Kinos.
Das ist eigentlich der Plot eines fiesen Horrorfilms: Junge Frau gerät in die Hände einer durchgeknallten Psycho-Sekte und wird fortan gedemütigt, gequält und sexuell missbraucht. Sie landet in der Hölle. „Rabia – der verlorene Traum“ (2024) von Mareike Engelhardt ist aber kein Genre-Film, sondern ein Historiendrama und beruft sich auf wahre Hintergründe. Erzählt wird die Geschichte von Jessica, die wie zehntausende weitere junge Frauen aus der ganzen Welt vor ungefähr zehn Jahren freiwillig nach Syrien reiste, um sich dort dem sogenannten Islamischen Staat anzuschließen.
Der IS sprach damals über Social-Media gezielt verunsicherte junge Frauen an und versprach ihnen ein besseres Leben im Kalifat. Jessica glaubt den Verlockungen der Gotteskrieger nur zu gern. Doch in Syrien angekommen, muss sie bald erkennen, dass alles ganz anders ist, als sie es sich erhofft hatte.
Schon bald wird sie einem Dschihadisten als Ehefrau überreicht, der sofort klar macht, was er in Zukunft von ihr erwartet: völlige Gefügsamkeit. Jessica will nun eigentlich nur noch so schnell wie möglich zurück nach Paris.
Doch an der Stelle dreht der Film eine bedrückende Schleife. Jessica wendet den Psychoterror nun auf sich selbst an und arbeitet nicht an ihrer Flucht, sondern an sich selbst, um doch noch eine würdige Dienerin des IS zu werden. Nun ist sie es selbst, die andere junge Frauen quält und enthemmten Kämpfern zum Fraß vorwirft.
Französische Filmwoche: verschiedene Berliner Kinos, 21. bis 27. November
Zu sehen ist der gelungene Film, der von den geplatzten Träumen gehirngewaschener ehemaliger IS-Anhängerinnen einmal etwas anders erzählt als üblich, im Rahmen der 24. Französischen Filmwoche. Diese läuft vom 21. bis zum 27. November. Beteiligt sind gleich mehrere Kinos vom City Kino Wedding bis hin zum Delphi Filmpalast.
Man kommt viel herum bei dieser Französischen Filmwoche. In „Rabia“ geht es von Paris nach Syrien, in „Le Voyage de Talia“ (2024) von Christophe Rolin von Belgien in den Senegal. Dort möchte die in Belgien geborene Talia ihre Wurzeln erkunden und ihre Großmutter ausfindig machen, die sie bislang nie getroffen hat. In Dakar landet sie in der Villa ihrer Cousine und erlebt ein Senegal, das sie sich ganz anders vorgestellt hat. Eines, in dem es nur um Bling Bling und Oberflächlichkeiten geht.
Erst Dank einer jungen Frau aus der Unterschicht, mit der sie sich anfreundet, taucht sie tiefer ein in die Geheimnisse einer für sie fremden Welt, die ihr mit der Zeit immer vertrauter wird. Und endlich macht sie sich auch wirklich auf die Suche nach ihrer Großmutter.
„Le Voyage de Talia“ ist ein Coming-of-Age-Film, der Fragen nach Identität sehr sensibel verhandelt. Die Bildsprache wechselt zwischen dem Zeigen rauher Wirklichkeiten im Senegal, wo das Patriarchat Talia oft genug zeigt, dass es hier das Sagen hat, und traumhaften Sequenzen, die die Sehnsüchte Talias bebildern, hier in Afrika etwas zu finden, das zu ihr und ihrer Persönlichkeit gehört.
Vom Senegal wiederum geht es in „Universal Language“ (2024) nach Kanada. Der Film von Matthew Rankin ist Kanadas Einreichung für die nächste Verleihung des Oscars für den besten internationalen Film. Gesprochen wird in ihm auf Farsi und Französisch, womit er sich auch für die Französische Filmwoche qualifiziert hätte.
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Rankin zeigt in „Universal Language“, dass er das Zeug dafür hat, ein echter Kultregisseur zu werden. Was er hier abliefert, ist ein großer Spaß für Liebhaber des Grotesken und Absurden. Kanadische Städte sehen nie aus wie kanadische Städte, sondern wie kaum belebte Orte, die wegen den arabischen Schriftzeichen überall eher an beispielsweise den Iran erinnern. Wenn da nicht überall der Schnee, das Eis und die Kälte wären.
Man verfolgt in dem Film den Konflikt darüber, wer nun das Recht hat, einen eingefrorenen Geldschein aus dem Eis holen zu dürfen. Ständig tauchen glucksende Truthähne auf, die auch gemeine Brillendiebe sein können und man verliert sich in zig Mikroerzählungen unglaublicher Begebenheiten und surrealen Bildern.
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