piwik no script img

Kinotipp der WocheVon einem, der auszog…

Das Berliner Arsenal Kino zeigt Lothar Großmanns „Einer vom Rummel“. Eine Coming-of-age-Geschichte in der DDR zwischen Schaustellerei, Stadt und Metall.

Renate Größner und Dirk Nawrocki in „Einer vom Rummel“ (DDR 1982) Foto: DEFA-Stiftung; Klaus Zaehler

Auf der Jeansjacke, die Ben eigentlich dauernd trägt, steht in großen Lettern „Ich bin ich“. In der DDR, wo vor allem das Bekenntnis zum „Wir“ gepredigt wurde, machte man sich mit einem solch öffentlichen Bekenntnis zum Individualismus schnell verdächtig. Dazu hat Ben auch noch lange Haare und trägt sehr sichtbar einen Ohrring. Die Polizei will von so einem natürlich ständig die Papiere sehen.

Ben ist 18 Jahre alt und von zu Hause ausgerissen. Wobei er ein richtige Zuhause nicht einmal hat. Sein Onkel und seine Tante kümmern sich um ihn, nachdem sein Vater ihn ständig grün und blau geschlagen hatte. Mit den beiden teilt er sich einen Wohnwagen und zieht mit ihnen, die als Schausteller arbeiten, umher und kümmert sich um ein Karussell.

Doch dann macht eines Abends sein Onkel dasselbe mit ihm wie einst sein Vater und schlägt ihn. Ben haut ab und streift nun, ohne Plan und Wohnung durch Ostberlin, erlebt zig Abenteuer in der großen Stadt, kann die Schaustellerei aber nicht vergessen und sehnt sich nach seinem alten Leben zurück.

„Einer vom Rummel“ (1982), der einzige Spielfilm von Lothar Großmann, ist ein Coming-of-age-Film, in dem es sehr viel um Freiheit und Ungebundenheit geht. Kein Wunder, dass er nicht besonders oft gezeigt wurde in der DDR, wo die Obrigkeit in welcher Form auch immer geäußerten Wünschen nach einem freiheitlichen Leben eher skeptisch gegenüber stand. Am 10. Juni ist der Film im Kino Arsenal zu sehen.

Der Film

„Einer vom Rummel“ am 10. Juni um 19 Uhr im Kino Arsenal. Präsentiert von der DEFA-Stiftung, anschließend Gespräch mit Regie-Assistentin Magda Greßmann

In Großmanns Film bleibt Ben in der Stadt vorerst der Typ aus dem Schaustellergewerbe, ein Tunichtgut ohne festen Wohnsitz. Er findet Arbeit bei einer Metallfabrik, wird von seinen Kollegen zuerst aber verachtet. Doch der Chef mag den Jungen, auch wenn er anders ist als die anderen. Hanna, die sich hingezogen zu ihm fühlt, aber um einiges älter ist als er, bleibt immer vorsichtig ihm gegenüber. Als er sie fragt, ob sie ihn heiraten möchte, bleibt sie reserviert und spürt, dass das nur Flausen sind.

Schweißen wie kein anderer

Tatsächlich weiß Ben nicht, was er will vom Leben. Und ihm wird auch einfach nicht klar, was er in Ostberlin soll. Nur, dass er das sesshafte, das Spießerleben, in das ihn in der Stadt alle außer Hanna zu drängen versuchen, ablehnt. Auch als er zunehmend den Respekt seiner Arbeitskollegen bekommt, weil er schweißen kann wie kein zweiter, bleibt er der Hallodri, der mit seinen Witzchen die Gepflogenheiten in der Fabrik unterminiert. Das Kollektiv, das „Wir“ will ihn trotzdem aufnehmen, doch er bleibt derjenige, der auf das „Ich bin ich“ besteht.

Dramatisch unaufgeregt und ziemlich lakonisch erzählt Regisseur Großmann diese Ballade von einem, der auszog, um ein anderes Leben zu entdecken, um dann festzustellen, dass er dieses gar nicht haben möchte. Und dessen Drang nach Freiheit von niemandem aufgehalten werden kann.

Dirk Nawrocki, der von Frank Castorf protegiert wurde und viel zu jung Mitte der Neunziger an AIDS verstarb, übernahm mit dem Ben seine erste große Filmrolle. Hanna wird von Renate Größner gespielt, bekannt vor allem aus dem DDR-Klassiker „Solo Sunny“. Eine weitere Hauptrolle übernimmt die Band Pankow, deren Musik ständig in dem Film zu hören ist und deren Konzert Ben in einer Szene besucht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!