Kinotipp der Woche: Antikoloniale Sonden
Das Festival „Ya França, Ya França“ im Sinema Transtopia zeigt Filme der 60er bis 80er Jahre über das Nachwirken des französischen Kolonialismus.
Eine Gruppe junger Schwarzer Männer nimmt Aufstellung um einen Altar, hinter dem ein weißer Priester bequem im Lehnstuhl sitzt. Der Reihe nach entschuldigen sich die Männer dafür, afrikanische Sprachen zu sprechen und werden dann auf europäische Namen getauft. In der nächsten Szene ist der sitzende, weiße Mann ein Militär. Er hetzt die Schwarzen Soldaten erst auf ihre nicht uniformierten Taufbrüder und dann aufeinander.
„Soleil Ô“, das Regiedebüt von Med Hondo von 1970, lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass es dem Film um eine grundsätzliche Abrechnung mit dem Kolonialismus als System geht. Ein junger Schwarzer Mann kommt nach Paris. Voller Idealismus sucht er sein Glück als Buchhalter. Hondos Film nutzt den Protagonisten der lose erzählten Handlung um wie mit einer Sonde eine Detailaufnahme der französischen Gesellschaft zu zeigen.
Zur Form seines Films sagte Hondo in einem Interview mit der Zeitschrift Jeune cinéma im Sommer 1970: „Im Zuge der Unterdrückung, der wir unterworfen sind, gibt es Momente, in denen man nicht länger mit den eigenen Inkonsistenzen umgehen kann.
Es bleibt nur eine fürchterliche, albtraumhafte Vision und das zu vermitteln, ist vielleicht nur durch die Allegorie möglich.“ Hondos Film gewann 1970 beim Filmfestival von Locarno den Goldenen Leoparden. Am Donnerstag eröffnet „Soleil Ô“ im unlängst in neuen Räumen wieder eröffneten SİNEMA TRANSTOPIA die Filmreihe „Ya França, Ya França“.
Ya França, Ya França: Sinema Transtopia, 9.–18. 2., Lindower Str. 20/22, Haus C
Ausgehend von Hondos Klassiker des antikolonialen Kinos hat Léa Morin in der Reihe Filme zusammengetragen, die sich dem Nachleben des Kolonialismus im Frankreich der 1970er und 1980er Jahre widmen, viele davon sind in den letzten Jahrzehnten nur selten zu sehen gewesen. Einen zentralen Raum in der Reihe nehmen Filme zwischen Experiment und Militanz ein.
Rabia Teguia lernte Schneiderin, nachdem sie als Jugendliche aus Algerien nach Frankreich gekommen war, später begann sie Medizin zu studieren. 1980 dreht sie ein elfminütiges filmisches Manifest, das der Filmreihe den Titel gab. „Ya França, Ya França“ ist feministisch und zutiefst persönlich.
Die Filme des Collectif Mohamed, eines jugendlichen Filmkollektivs in einem Pariser Vorort Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre, geistern seit einigen Jahren durch Diskussionen über Bilder der französischen Gesellschaft jener Jahre.
Ein Programm der Reihe zeigt drei Filme. „La garage“ beginnt mit Bildern von jungen Jugendlichen, die auf Fahrrädern durchs Viertel gurken, und älteren Jugendlichen, die in der titelgebenden Garage sitzen, diskutieren, sich anschreien und der in jener Zeit populärsten Form emanzipativer Praktiken frönen: dem Nachstellen von Kung-Fu-Bewegungen aus Martial-Arts-Filmen. Zwischen diesen Momenten klingt der Frust über die Enge und die Ausschlüsse deutlich an.
Der Ton in „Ils ont tué Kader“ (Sie haben Kader umgebracht), entstanden zwei Jahre später, ist deutlich weniger spielerisch. Demonstrationen, unzählige Streitgespräche vor den Hauseingängen.
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In der Einsamkeit eines türkischen Arbeiters in Grenoble in Nora Senis Kurzfilm „Et les dimanches?“ (Und sonntags?) von 1976 spiegelt sich der Frust der Jugendlichen aus „La garage“.
Über die Filme hinweg zeichnet „Ya França, Ya França“ ein komplexes Gesellschaftsporträt. Der französische Kolonialismus wird im Mutterland in seiner Verschränkung mit der Moderne der 1960er Jahre sichtbar, die Konfliktlinien sind unübersehbar und immer wieder werden Mechanismen der Ausschlüsse sichtbar.
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