Kinotipp der Woche: Historische Fiktion
Die Filmretrospektive „Roads not Taken“ im Zeughauskino untersucht alternative Ausgänge der Geschichte, darunter Szenarien des Faschismus in Europa.
Schräg singt die Gemeinde in der Kirche, stetig rütteln die Kohleloren über die Gleise im Schacht. Dorfleben in Wales – bis ein Auto über eine Brücke fährt. Bevor es die andere Uferseite erreicht hat, beginnt der Marsch „Preußens Gloria“ aus dem Lautsprecher auf dem Dach zu schallen. Eine Durchsage informiert die Bevölkerung, dass sie unter deutscher Besatzung steht, Rechte ausgesetzt sind. Am nächsten Tag treten die Minenarbeiter in Streik, die Dorfbevölkerung organisiert sich.
Wales ist in Humphrey Jennings' „The Silent Village“ von 1943 nicht Wales. Die westwalisische Bergarbeiterstadt Cwmgiedd steht für das tschechische Dorf Lidice, in dem ein halbes Jahr zuvor Gestapo, Polizei und SD die Bevölkerung massakriert oder in deutsche Konzentrationslager verschleppt hatten.
Jennings' Film ist Teil der Filmreihe „Roads not Taken. Alternative historische Erzählungen im Film“ im Zeughauskino, die Filme versammelt, in denen alternative historische Szenarien durchgespielt werden. Was, wenn die deutsche Invasion nach Großbritannien gelungen wäre? Was, wenn Nazideutschland den Krieg gewonnen hätte? Was, wenn Hitler den Krieg überlebt hätte? Die Filmreihe begleitet die gleichnamige Ausstellung des Deutschen Historischen Museums.
Filmretrospektive „Roads Not Taken. Alternative historische Erzählungen im Film“, 7. 1.–28. 2. im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums
Neue Adresse: Seit dem 6. Januar befindet sich das Zeughauskino im Auditorium des Pei-Baus, Hinter dem Gießhaus 3
„The Silent Village“ läuft als Vorfilm zu Alberto Cavalcantis „Went the Day Well?“ von 1942, die beiden Filme bilden eines der schönsten Programme der Reihe (Screenings am 18. und 21. 2.). In der Rückblende erzählt Cavalcanti, wie eine Gruppe deutscher Fallschirmspringer verkleidet als britische Pioniere versucht, im Vorfeld einer deutschen Invasion ein Dorf zu übernehmen. Das Dorf nimmt die vermeintlichen Freunde auf, bis Details ihren Verdacht erregen: eine Rechnung beim Kartenspielen mit einer Sieben, die anders als in Großbritannien üblich mit Mittelstrich geschrieben ist, eine Schokoladentafel aus Wien. Die Fallschirmspringer setzen die Dorfbevölkerung in der Kirche fest, doch mit unermüdlicher Findigkeit suchen die Bewohner_innen nach einem Weg, die Außenwelt zu verständigen.
Alltag und Widerstand
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Die Stärke von „The Silent Village“ und „Went the Day Well?“ liegt in der Darstellung des alltäglichen Lebens der britischen Landbevölkerung, das zum Ausgangspunkt des Widerstands wird. Beide Filme zeugen von der dokumentarischen Prägung ihrer Regisseure. Jennings wie Cavalcanti waren Teil der GPO Film Unit und der Crown Film Unit, zwei der Urzellen des britischen Dokumentarfilms.
Zwei junge Männer griffen in den späten 1950er Jahren den Faden, im Film über die Möglichkeit eines von Deutschen besetzten Großbritanniens nachzudenken, noch einmal auf. Der spätere Experte der Filmrestaurierung Kevin Brownlow und der Uniform-Spezialist Andrew Mollo realisieren über Jahre hinweg mit minimalem Budget einen Spielfilm, der die Kollaboration der britischen Bevölkerung nach einer gelungenen Invasion zeigt. Was „It Happened Here“ von 1964 zum Klassiker gemacht hat, sind die vielschichtigen Formen der Kollaboration und die grundsätzlichen Überlegungen zu Verhaltensweisen gegenüber repressiver Macht (Screening 14. 1., 18 Uhr).
Mit der Filmreihe „Roads not Taken“ lotet das Zeughauskino Spielarten historisch-filmischer Fiktion aus. Die Reihe konzentriert sich wie die Ausstellung auf Szenarien aus der deutschen Geschichte oder wie im Falle einer möglichen deutschen Invasion nach Großbritannien zumindest mit deutscher Beteiligung.
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