Kinotipp der Woche: Die Zeit danach
Die kleine Reihe „77. Jahre Kriegsende in Berlin“ im Kino Krokodil zeigt Filme und Wochenschauen der frühen Nachkriegszeit in Ost und West.
Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs: zwei Männer in ausgemusterten Uniformen schlachten frierend ein Auto aus. Auf der Windschutzscheibe entdecken sie eine Reihe Zahlen, die sie für eine Telefonnummer halten: „30133“. Ein Moment, der das Auto zum Sprechen bringt. Sieben Geschichten der Zeit „In jenen Tagen“, dem Nationalsozialismus.
Die Zahlen stehen für einen romantischen Moment, in einer scheinbar privaten Beziehung. Ein Mann muss weg. Er bittet eine junge Frau, mit ihm zu kommen. Die junge Frau will zu einem anderen Mann. Die Wege der beiden trennen sich.
Erst als der andere Mann mit der Frau im Auto sitzt, das Auto in Berlin Mitte im Menschengewimmel vor dem Fackelmarsch der Nazis zur Machtübertragung an Hitler am 30.1.1933 feststeckt, versteht die Frau, warum der Mann weg musste und entscheidet sich, ihm zu folgen.
Helmut Käutners „In jenen Tagen“ ist ein Solitär des frühen deutschen Nachkriegskinos. Eine eher bieder umgesetzte Rahmenhandlung umgibt die Episoden des Films, die in seltener Offenheit das Leben im NS und die Repression aufgreifen: die Verfolgung von Künstler_innen, die Verfolgung von Jüd_innen, das Leben im Widerstand, der Krieg.
Käutners Film eröffnet am Freitag eine kleine Filmreihe, mit der das Kino Krokodil „77. Jahre Kriegsende in Berlin“ feiert. Zusammengestellt wurde die Reihe von Torsten Ingmar Gareis.
77 Jahre Kriegsende in Berlin, Filmfest im Kino Krokodil, 6. bis 8. Mai 2022, www.kriegsende.berlin
Gerhard Lamprechts „Irgendwo in Berlin“ blickt von den Dächern Berlins herab auf einen Markt. Ein Diebstahl bringt die Handlung des Films ins Laufen. Eine Gruppe Kinder, die zwischen Ruinen unermüdlich Krieg spielt, Erwachsene, die versuchen, die Provisorien zu verlängern, bis ein neues Leben aufgebaut ist.
Als der Vater eines der Kinder aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrt, bittet seine Frau den Schneider, den Anzug aus der Zeit vor dem Krieg zwar anzupassen, aber etwas Stoff in den Nähten zu lassen. „Falls er wieder zunimmt.“ Anders als Käutners Film bleibt Lamprecht ganz im hier und jetzt der Nachkriegszeit, ohne den Krieg und die Politik, die zu ihm führte, konkret zu thematisieren.
Als dritter und letzter Film der Reihe läuft am Sonntag Carol Reeds Ost-West-Spionagefilm „The Man Between“ („Gefährlicher Urlaub“) von 1953. Reeds Film ist der einzige der drei, der nach Beginn des Kalten Kriegs zurückblickt auf die direkte Nachkriegszeit.
Susanne Mallison, eine junge Britin, fliegt nach Kriegsende nach Berlin, um ihren Bruder zu besuchen. Der Bruder arbeitet bei der britischen Armee, leitet ein Flüchtlingslager und ist mit einer Deutschen verheiratet. Schon bald bekommt Mallison den Eindruck, dass Bettina, die Frau ihres Bruders, etwas verheimlicht.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Ohne es zu wissen ist Mallison in ein Geflecht von Machenschaften zwischen Ost- und Westberlin geraten. Im Kern der Machenschaften steht der Versuch unliebsame Akteure aus dem Westteil in den Ostteil Berlins zu verschleppen. Reed hat den Roman „Susanne in Berlin“ des damaligen Leiters der Justizpressestelle Walter Ebert als dichten Thriller verfilmt.
Die drei Filme der Reihe nähern sich in sehr unterschiedlichen Formen Lebensrealitäten am Ende des Zweiten Weltkriegs. Alle drei Filme werden umspielt von ergänzendem Material aus Wochenschauen und Kulturfilmen der Zeit. Vor Carol Reeds „The Man Between“ laufen zudem Ausschnitte eines Propagandafilms des Ministerium für Staatssicherheit, in dem die Bekämpfung westlicher „Agitatoren“ gezeigt wird.
„77. Jahre Kriegsende in Berlin“ zeigt den Übergang von der Nachkriegszeit in die Nachkriegsordnung des Kalten Krieges. Die Reihe war ursprünglich für den 75. Jahrestag des Kriegsendes vor zwei Jahren geplant. Pandemiebedingt wird die Reihe erst jetzt – unter den veränderten Vorzeichen des russischen Kriegs gegen die Ukraine – nachgeholt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!