Kinofilm über Flucht: Mannheim Paradeplatz

Zwischen Ghana und Deutschland: Mit seinem Debütfilm „Borga“ schließt York-Fabian Raabe eine klaffende Lücke im Migrationskino.

Auf der Suche: Kojo (Eugene Boateng) in „Borga“ Foto: Across Nations

Zwei Jungen machen ein Feuer aus Kabeln und Plastikabdeckungen. Der aufsteigende giftig-gelbe Rauch vermischt sich mit dem der zahlreichen kleinen Wohlstandsscheiterhäufchen um sie herum. Wie die anderen Menschen auf der überdimensionalen Müllhalde verbrennen sie Schrott aus Europa – sie haben es auf das Metall im Inneren abgesehen, mit dem sie sich etwas dazuverdienen wollen.

Einer von ihnen ist Kojo, der von seinem Vater (Adjetey Anang) prompt gerügt wird: Er solle gefälligst zur Schule gehen, damit ein erfolgreicher Mann aus ihm wird. Da es aber sein Bruder Kofi ist, der als nächstes Familienoberhaupt auserkoren wurde, plagt Kojo früh ein Gefühl von Verlorenheit.

Regisseur York-Fabian Raabe, der zusammen mit Toks Körner auch das Drehbuch zu „Borga“ verfasste, wählt für den Auftakt seines Debütfilms die ghanaische Hauptstadt Accra als Handlungsort. Chronologisch erzählt er von den Minderwertigkeitsgefühlen, die die Perspektivlosigkeit schon in Kindertagen in den jungen Protagonisten pflanzt – und zu welchen kühnen Entscheidungen sie ihn antreiben, zu welchen halsbrecherischen Taten sie ihn anstacheln wird.

Mit nach Mitleid haschendem Elendskino hat das Drama, das bei dem Nachwuchsfilmfestival Max Ophüls Preis unter anderem als bester Spiel- und gesellschaftlich relevanter Film ausgezeichnet wurde, allerdings wenig gemein.

Vielmehr vermengen sich pralle Lebendigkeit mit tiefsitzender Bedrückung in vielen der Figuren. Bilder von Armutsbehausungen fängt die Kamera ebenso ein wie die natürliche Schönheit der westafrikanischen Drehorte.

Ein Borga werden

Als Kojo (jetzt gespielt von Eugene Boateng) etwa zehn Jahre später die Entscheidung trifft, nach Deutschland aufzubrechen, treibt ihn die Hoffnung auf eine glücklichere Existenz ebenso an wie der Wunsch, seiner Familie zu beweisen, dass er zu Größerem fähig ist. Er möchte ein „Borga“ werden, also zu einem jener Männer, die im Ausland zu Reichtum gelangen.

Auf eine ausführliche Darstellung der Flucht selbst verzichtet Raabe. Stattdessen rückt er die Dichotomie von Aufbruchsort und Ziel seiner Flucht ins Zentrum. Im Laufe der etwas über 100-minütigen Spielzeit werden Accra und Mannheim mehrmals die Rollen tauschen.

„Borga“. Regie: York-Fabian Raabe. Mit Eugene Boateng, Christiane Paul u.a. Deutschland/Ghana 2021, 104 Min.

Mit diesem erzählerischen Fokus schließt „Borga“ eine klaffende Lücke im Migrationskino: Er zeigt ein mehrmaliges Hin und Zurück, anstatt Flucht – wie so oft – als eine in eine Richtung verlaufende Bewegung zu zeichnen, die mit Ankunft am Zielort abgeschlossen ist. Denn wie Kojo in Deutschland feststellen muss, gaben seine Vorbilder nur vor, zu Wohlstand gekommen zu sein.

Bisweilen wirkt der Plot etwas konstruiert, wenn der Protagonist – nachdem er mangels Job-Aus­sichten auf der Straße gelandet ist – ausgerechnet damit beginnt, Elektroschrott zu sammeln, der nach Afrika geschickt werden soll. Gleichzeitig trifft der Film so eine eindrucksvolle Aussage über fortdauernde Perspektivlosigkeit. Es scheint so, als gebe es keinen Ort, an dem Kojo ihr entfliehen könnte.

In der Abwärtsspirale

Schlimmer noch: Durch die kriminellen Taten, zu denen er von vermeintlichen Borgas angestiftet wird, stürzt er nicht nur sich selbst, sondern auch weitere Landsmänner in die Abwärtsspirale.

Ähnlich wie Burhan Qurbanis moderne Interpretation von Alfred Döblin erzählt auch Raabe letztlich eine universelle Geschichte eines Migranten, der trotz bester Absichten auf die schiefe Bahn gerät: Mannheim Paradeplatz statt Berlin Alexanderplatz, nüchterner Sozialrealismus statt kunstvolle Parabel.

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