Kindesmissbrauch in Großbritannien: Von Politikern und Polizei gedeckt
Jahrzehntelang konnten die Täter ungehindert agieren. Angeblich unterschlug die Polizei in einem Fall Beweise, wie die BBC jetzt berichtet.
LONDON taz | Der Missbrauch von Kindern in den 60er, 70er und 80er Jahren wurde in Großbritannien bis in die höchsten Etagen gedeckt, so lautet die derzeitige Anklage gegen den britischen Staat. Als vor etwa einem Jahr Gerüchte lauter wurde, dass schon Margaret Thatcher persönlich versucht hätte, die sexuelle Misshandlung von Kindern durch ein hohes Regierungsmitglied zu vertuschen, wuchs der Druck auf Theresa May, Großbritanniens Innenministerin, die Fälle aufzuklären, stark an.
Im Juli 2014 berief May schließlich einen öffentlichen Untersuchungsausschuss ein, der den Verdacht der Kollaboration zwischen Kinderschänderringen und Regierungsmitgliedern und staatlichen Vertretern, inklusive der Polizei und Justiz, untersuchen sollte.
Seitdem gab es in den britischen Medien immer wieder Berichte über die Ausmaße der Verbrechen. Beispielsweise stellte ein Bericht im Februar fest, dass Jimmy Savile in einem einigen Krankenhaus allein mindestens 60 Mädchen und Frauen zwischen 8 bis 40 Jahren sexuell misshandelte. Einige der Fälle waren dem Krankenhauspersonal schon damals bekannt. Im Januar wurden zusätzlich ehemals geheime Akten veröffentlicht, die bezeugen, dass Thatcher die pädophilen Aktivitäten eines langjährigen Beamten, der zuletzt Botschafter in Kanada war, wahrscheinlich deckte.
Ein 35 Jahre alter Fall wird neu aufgerollt
Am Montag dieser Woche legte nun das Investigationsteam der BBC Nachrichtensendung Newsnight weitere Vorwürfe auf den Tisch. Die BBC stieß auf einen Polizeibeamten, der angab, dass er vor 35 Jahren bei der Aufdeckung eines Kinderschänderringes in Südlondon mitarbeitete.
Über mehrere Wochen sammelte die Polizei dazu Beweise, konnte sogar eine versteckte Kamera in einer Wohnung installieren. Die Aufnahmen bewiesen, so der Beamte, dass ein liberaldemokratischer Parlamentsabgeordneter, die BBC spricht von Cyril Smith, und ein hohes Mitglied des britischen Nachrichtendienstes Jungen sexuell misshandelten.
Man beschloss schließlich einzugreifen und sprengte eine Sexparty. Der Abgeordnete wurde festgenommen, doch noch am selben Abend auf Befehl von Oben freigelassen, behauptet der ehemalige Beamte. Einige Wochen später, heißt es weiter, hätte ein hochrangiger unbekannter Offizier angeordnet, ihm sämtliches Beweismaterial auszuhändigen. Zugleich mahnte er seine Einheit an, die Enthüllungen als geheim zu betrachten.
Die Enthüllungen der BBC führten am Montag zur Ankündigung einer Untersuchung durch die unabhängige polizeiliche Investigationsstelle (IPCC). Yvonne Traynor, die Leiterin der Organisation Rape Crisis Südlondon, welche sich um Opfer sexueller Gewalt kümmert, sagte der taz, Cyril Smith sei nur ein Teil eines Ringes gewesen. Polizeibeamte hätten nie dazu gezwungen werden sollen, ihre Beweise als öffentliches Staatsgeheimnis zu betrachten. „Staatsgeheimnisse dienen dem Schutz der Bevölkerung, und nicht dem Schutz individueller hoher Beamter, die Kinder missbrauchen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW