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KindersklavenErst 14, aber ein 18-Stunden-Tag

"Human Rights Watch" prangert in einem aktuellen Bericht das Schicksal von Hunderttausenden rechtloser Hausangestellten in Guniea an

Kaum auf der Welt, schon ausgebeutet Bild: dpa

Alice war drei Jahre alt, als ihre Eltern sie weggaben. Bei ihrer Tante sollte sie ein besseres Leben haben. Sie wurde eine Hausbedienstete, arbeitet von frühmorgens bis spät in die Nacht und wird oft geschlagen. Fort kann sie nicht. Ihre Eltern sind weggezogen.

Die 14jährige Thérèse schuftet von vier Uhr morgens bis zehn Uhr abends. "Ich wasche die Wäsche, putze das Haus, wasche das Geschirr, gehe einkaufen und gucke nach den Kindern. Man hat mir gesagt, dass ich 15.000 guineische Franc (unter 2 Euro) im Monat kriege, aber das Geld habe ich nie gesehen." Ihre Familie hatte sie vor zwei Jahren zu diesen "Freunden" gegeben und zogen in ein anderes Land. Jetzt sitzt sie fest. "Kurz nachdem ich kam, wurde ich krank. Die Madame warf mir Simulation vor und sagte, ich wolle nicht arbeiten. Seitdem war ich oft krank, aber ich sage es nicht. Wenn ich zu langsam bin, werde ich geschlagen. Sobald ich mich ausruhen will, sagt Madame, ich sei zum Arbeiten und nicht zum Ausruhen gekommen, und schlägt mich mit einem elektrischen Kabel oder einem Gummireifen."

Das Schicksal Hunderttausender Kinder, die in Westafrika als rechtlose Hausangestellte fern von ihren Familien in sklavenähnlichen Verhältnissen leben, ist Thema eines umfassenden Berichts, den die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" am Freitag veröffentlicht. Untersucht wurde vor allem die Lage von Mädchen in Guinea, von denen 40 ausgiebig befragt wurden. Die Erzählungen sind stellvertretend für die gesamte Region. "Der Verkauf von Kindern als Arbeiter ist in Westafrika ein zunehmendes Problem", so HRW. "Kinder werden für Hausarbeit, Feldarbeit, Marktarbeit, Straßenverkauf und Bettlerei verkauft, manche auch für Prostitution und sexuelle Ausbeutung."

Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganistion (ILO) betrifft Menschenhandel jedes Jahr 400.000 Kinder in Westafrika - ein Drittel der globalen Zahl. 73 Prozent aller Kinder in Guinea arbeiten, 61 Prozent als Hausarbeiter. Dass Kinder im Haushalt mitarbeiten, sobald sie laufen können, ist in ganz Afrika verbreitet - oft sieht man in ländlichen Gebieten kleine Mädchen Wasserbehälter oder Feuerholzbündel schleppen, die fast so groß sind wie sie selbst. In Mali hat die Regierung kürzlich festgestellt, dass zwei Drittel aller Kinder über fünf Jahre arbeiten, mit steigender Tendenz.

Das Verschicken von Kindern aus Mali in das etwas reichere Nachbarland Guinea ist eines der Phänomene, das der extrem brutalen Ausbeutung von Kinderarbeitern in guineischen Haushalten zugrundeliegt, analysiert HRW. Ärmere Familien nutzen die Freundschaft reicherer Verwandter, indem sie ihnen Kinder in Obhut geben; die reicheren genießen dadurch billige Arbeitskraft.

Das Aufkommen einer modernen städtischen Mittelschicht, auf die international große Hoffnungen als Träger einer Modernisierung Afrikas gesetzt werden, verschärft das Phänomen eher noch: Neureiche Haushalte funktionieren mit einer Armee unbezahlter Arbeiter, die kein Geld und keine Rechte haben. Mehr Konsum und größere Häuser erfordern mehr Arbeit, und die eigene Familie schiebt diese aus Statusgründen mehr ab als früher. Die Kinderarbeiter aus der Fremde müssen den Kindern der Familie das Essen zubereiten und die Betten machen, bekommen aber selbst weder zu essen noch haben sie Schlafplätze. Wenn die Kinder der Familie krank werden, stehen die Kinderarbeiter unter Verdacht.

Das Entstehen neureicher Mittelschichten sogt für noch andere Zwänge, die Menschenhandel und rechtlose Arbeitsverhältnisse begünstigen. In Teilen Westafrika erhält bei einer Hochzeit die Familie des Bräutigams eine hohe Mitgift von der Familie der Braut - meist kostspieliege Haushaltswaren. Die meisten Heiraten in Guinea sind Zwangsheiraten und finden statt, bevor das Mädchen volljährig ist. Bis dahin muss eine ansehnliche Mitgift vorhanden sein, und sobald Familien aus der absoluten Armut auf dem Land herauskommen, steigen die Erwartungen daran. "Studien in Mali und Burkina Faso zeigen, dass der Druck, wertvolle Gegenstände für die Mitgift zu sammeln, enorm zugenommen hat", so HRW. So gehen viele Mädchen mit Erreichen der Pubertät freiwillig oder gezwungenermaßen fort, um Geld zu verdienen.

Mädchen können sich aber auch durch Wanderung von innerfamiliärer Gewalt lösen und unabhängig werden. Die Recherchen von HRW legen nahe, dass Emigration wie eine Kettenreaktion funktioniert. Wer schon als Kind in die Fremde ging, ist auch eher bereit, bei der ersten Gelegenheit wegzulaufen und in ein ganz anderes Land zu gehen, und nimmt höhere Risiken auf sich.

Konkret geht es "Human Rights Watch" aber darum, die Lage der Kindersklaven von Guinea zu verbessern. "Wir fordern die Einrichtung eines Sozialdienstes zum Kinderschutz in Guinea, in enger Kooperation mit lokalen NGOs und UNICEF; die strafrechtliche Verfolgung von Kindesmissbrauch, Ausbeutung von Kindern und Kinderhandel; und Programme zur Förderung des Schulbesuches durch Mädchen, die als Hausangestellte arbeiten", sagt HRW-Kinderrechtsexpertin Juliane Kippenberg. "Die Bundesregierung hat während der EU-Ratspräsidentschaft ihr Engagement für die Kinderrechte in der Welt bekräftigt. In Guinea könnte sie dieses Engagement einlösen, indem sie diese Massnahmen technisch und finanziell unterstützt."

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