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Kinder in der PandemieWir müssen reden

Kinder erleben die Pandemie sehr unterschiedlich. Aber eines ist klar: Auch sie leiden darunter. Dieses Problem müssen wir anerkennen.

Rodeln während der Pandemie: Absperrband im Hamburger Schanzenpark am vergangenen Samstag Foto: dpa / Jonas Walzberg

E ndlich Schnee! Ganz Hamburg ist am Samstag aus dem Haus gegangen. Hatte ich geglaubt, dass Kinder in unseren Breiten keinen Schlitten mehr besitzen, hatte ich mich wohl geirrt. Zwar gibt es keine Berge, in diesen flachen Landen, aber ein Pickel von einer Bodenwelle tat es auch. Bis in die Dunkelheit, und bis die Polizei kam, wurde am Samstag gerodelt. Ich erinnerte mich an meine Kindheit, in Brandenburg, wo wir auch abends im Dunkeln rodelten, das war das Größte, das Allerbeste, das Rodeln im Dunkeln.

Ich musste in letzter Zeit viel über Kinder nachdenken, über meine eigene Kindheit, darüber, wie Kinder jetzt diese Pandemie erleben. Es wird viel darüber gestritten und ich bin abwechselnd genervt, von denen, die fordern, dass sich die Kinder nicht so anstellen sollten, weil, früher und so weiter, und noch mehr von denen, die verlangen, dass alte Leute großzügig ihr Leben riskieren, damit die lieben Kleinen ihres unbeschwert weiterführen können, was sie ohnehin nicht können, behaupte ich, weil es unbeschwertes Leben nicht gibt.

Die anscheinend komplizierte Frage ist: Leiden Kinder unter der Pandemie? Was? Natürlich leiden sie darunter. Wir leiden alle darunter, Kinder sind auch nur Menschen, wie sollten sie also nicht darunter leiden? Darüber kann man reden, darüber, wie dieses Leid aussieht, wie groß es ist, welche Gruppe von Kindern es besonders betrifft und was man dagegen tun kann.

Kinder leben ihr Leben nicht losgelöst von dem der Erwachsenen, sondern im Gegenteil, sie können gar keine eigenen, für sie am besten passenden, Lebensentscheidungen treffen, sie sind gezwungen, das Leben der sie umgebenden Erwachsen, insbesondere der Eltern, zu teilen. Da ist nichts zu machen. Es ist einfach nicht möglich, Kinder vom Leben fernzuhalten.

Es ist einfach nicht möglich, Kinder vom Leben fernzuhalten
Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schrift­stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

In meiner Kindheit hat mich auch das eine oder andere „verunsichert“. Die Wiedervereinigung, zum Beispiel, die viele Menschen, die damals Kinder waren, geschädigt hat. Ihre Bezugspersonen, Lehrer*innen, Erzieher*innen, Eltern und Verwandte verloren ihre Orientierung, ihren Beruf, sie wussten nicht mehr, auf welche Art sie richtig weiterleben sollten.

Dazu kam die Scham, über das anscheinend falsche bisherige Leben. Ich habe mich so geschämt, dass ich niemandem sagen wollte, wo ich herkam. Darüber muss man nachdenken, darüber muss man reden. Aber hätten wir den Menschen, die damals in einer ungeheuren Anstrengung eine Mauer überwanden, sagen sollen: Tut das nicht, ihr müsst doch auch mal an die Kinder denken, wie die das aufnehmen? Die Wiedervereinigung war ohne Alternative, über das Wie hätte man besser reden sollen. Und um die Kinder hätte man sich auch besser kümmern müssen.

Ich weiß, die Situation ist nur insofern vergleichbar, als es sich in beiden Fällen um gesamtgesellschaftliche Vorgänge handelt, die alle Menschen gleichermaßen betrifft, auch wenn sie sich keinesfalls auf alle Menschen gleich auswirkt. Wir haben das Kind, dessen Vater am Virus verstarb, das Kind, dem das nicht geschah, dessen junge Eltern fast sorglos im Homeoffice ihr Leben weiterführen, das Kind, dessen überfordertes alleinerziehendes Elternteil in panischer Angst alles meidet, das Kind, dessen Eltern im erbitterten Widerstand leben, und das Kind, das auf dem Lande in der Großfamilie lebt. Es gibt große Unterschiede und das Kind lebt immer das Leben der es umgebenden Gemeinschaft, die mehr oder weniger sorglos lebt oder auch nur leben kann.

Wie auch immer, eine tödliche Pandemie muss bekämpft werden. Jedes Medikament richtet Schaden an. Eine Herzoperation ist eine Körperverletzung. Wir nehmen das Medikament, wir lassen uns operieren.

Wir sollten uns einfach eingestehen, dass es für Kinder, und vielleicht sogar noch mehr für Jugendliche, gerade nicht so super ist. Wir können die Schäden von vornherein ein bisschen beeinflussen, aber vor allem müssen wir das Problem anerkennen und uns dem widmen, das machen Eltern, das muss auch die Gesellschaft machen. Ohne Hysterie. Und selbstverständlich ohne den Plan, möglichst viele Menschen vor dem Tod zu bewahren, dafür aufzugeben.

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1 Kommentar

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  • Sehr gut! Wir erkennen das Problem an. Aber ändern oder gar das Problem wollen wir nicht?

    "Und selbstverständlich ohne den Plan, möglichst viele Menschen vor dem Tod zu bewahren, dafür aufzugeben."

    Mit anderen Worten: Wir lassen alles wie es ist und sagen öfter, ja das ist doof, aber ändern will ich nichts.