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Kinder im JemenVerlorene Kindheit

Kein Essen, keine Schule, keine Perspektive: Der Krieg im Jemen raube einer ganzen Generation die Zukunft, warnt die Hilfsorganisation Save the Children.

Kein Einzelfall: unterernährtes Kind in einem Krankenhaus in der jemenitischen Provinz Hadscha Foto: dpa

KAIRO taz | Die Hilfsorganisation Save the Children warnt vor den Auswirkungen des Jemenkriegs auf die Kinder des Landes. Seit dreieinhalb Jahren kämpfen von Saudi-Arabien unterstützte Regierungstruppen und vom Iran gesponserte Huthi-Rebellen um die Vorherrschaft im Jemen. Beide Seiten nehmen in Kauf, dass Kinder verhungern, nicht zur Schule gehen oder als Kindersoldaten rekrutiert werden.

„Schätzungen zufolge sind 400.000 Kinder ernsthaft unterernährt“, sagt Tamer Kirolos, Jemen-Direktor der Hilfsorganisation, der taz. „Sie müssen therapeutisch ernährt werden und brauchen Medizin.“ Sei ihr Körper erst einmal geschwächt, seien sie besonders anfällig für Infektionen.

Schon heute sind 17 Millionen Menschen im Jemen von Hilfslieferungen abhängig. Doch werde die Zahl steigen, warnt Kirolos. Denn viele, die sich momentan noch Nahrungsmittel kaufen können, könnten sich das bald nicht mehr leisten. Die Preise steigen stetig, weil die Versorgung über den umkämpften Hafen von Hudaida am Roten Meer in Gefahr ist. „Es gibt Schätzungen, dass weitere drei Millionen Menschen vom Hunger bedroht wären, wenn der Hafen von Hudaida ausfällt“, warnt Kirolos. „Das könnte das Land endgültig an den Rand einer Hungerkatastrophe bringen.“

Hudaida ist für die humanitäre Lage im Jemen von zentraler Bedeutung. Über 80 Prozent der Lebensmittel kämen über den Hafen ins Land, erklärt Kirolos. Neben Hilfslieferungen seien auch die im Handel verbliebenen Nahrungsmittel von den Kämpfen um Hudaida betroffen. Aufgrund der schwierigen Versorgungslage würden sie immer teurer. Von den ansteigenden Preisen könnten weitere zehn Millionen Jemeniten betroffen sein, sagt Kirolos. „Das sind Menschen, die sich jetzt noch Nahrungsmittel leisten können, die aber Hilfslieferungen benötigen werden.“

Neben dem Hafen seien zwei große Straßen, die aus der Stadt führen, von zentraler Bedeutung, erläutert Kirolos, der Hudaida vor Kurzem besucht hat. Eine von ihnen sei bereits unterbrochen. Würde auch die zweite geschlossen, käme dies der Schließung des Hafens gleich.

Schulgebäude zerstört

Zu der Unterernährung käme hinzu, dass viele Kinder im Jemen seit Jahren keine Schule mehr von Innen gesehen haben. Über 1.200 Schulen wurden im Krieg zerstört, beschädigt oder werden militärisch oder als Unterkunft für Binnenflüchtlinge genutzt. Zudem würden viele Lehrer nicht mehr bezahlt. „Wir haben zwei Millionen Kinder, die nicht in die Schule gehen, oft, weil die Lehrer nicht mehr bezahlt werden. In einigen Gegenden sammeln die Eltern Geld, um den Lehrern wenigstens den Transport zur Schule finanzieren zu können.“

Neben den indirekten Auswirkungen des Krieges werden die Kinder auch direkt zu Opfern. Kinder seien besonders verwundbar, sagt Kirolos. „Das hat mit ihren kleineren Körpern zu tun. Wenn es Granatsplitter gibt, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie bei Kindern ein lebenswichtiges Organ treffen.“

Hinzu komme „toxischer Stress“. Viele Kinder bräuchten psychologische Unterstützung. „Das wird langfristige Auswirkungen haben auf eine ganze Generation von Kindern, die ihre Kindheit verloren hat und die dreieinhalb Jahre nichts anderes als Krieg erlebt hat.“

Auf die Frage, was in seiner Arbeit in den letzten fast zwei Jahren als Chef der Kinderhilfsorganisation am Schwierigsten gewesen sei, hält Kirolos kurz inne. „Kinder zu sehen, die unterernährt in den Kliniken ankommen, und zu wissen, dass es zu spät ist für sie“, antwortet er dann. „Das alles ist so sinnlos“, sagt Kirolos, „es ist eine von Menschen gemachte Katastrophe, die auch von Menschen beendet werden kann.“

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