Kinder fragen, die taz antwortet: Warum bin ich ich?
Wir wollen von Kindern wissen, welche Fragen sie beschäftigen. Diese Frage kommt von Yola, 6 Jahre alt.
Liebe Yola, das ist die schwierigste Frage, die uns je ein Kind geschickt hat. Und ich muss zugeben: Auf Anhieb weiß ich keine Antwort. Doch ich werde alles tun, eine zu finden.
Vorher möchte ich dir aber sagen, dass ich deine Frage, warum du ausgerechnet du bist und nicht etwa deine Schwester, gut nachvollziehen kann. Ich erinnere mich noch, wie ich mich als Grundschülerin fragte: Wieso bin ich in meinem Körper geboren und nicht in dem von unserem Hund Leo? Dann müsste ich keine Hausaufgaben machen, sondern würde den ganzen Tag schlafen und mich von Menschen kraulen lassen. Auf die Antwort bin ich also so gespannt wie du.
Auf meiner Suche stoße ich auf den Pixar-Film „Soul“. (Falls du ihn noch nicht gesehen hast, kann ich ihn dir nur empfehlen.) Darin geht es um das „Davorseits“ – einen Ort, an dem ungeborene Seelen ihre Persönlichkeiten erhalten, bevor sie auf die Erde kommen. Durch den Film wird mir klar, dass ich die Bewohnerin meines Körpers bin – nicht mein Körper selbst. Aber stimmt das auch?
Ich rufe Gottfried Vosgerau an, er ist Professor für Philosophie an der Uni Düsseldorf. Er führt Gedankenexperimente mit mir durch. Zuerst soll ich mir vorstellen, dass du, liebe Yola, in dem Körper deiner Schwester aufwachst, also ganz anders aussiehst. „Ist Yola dann trotzdem noch Yola?“, fragt mich der Professor. „Ja“, sage ich.
Dann soll ich mir vorstellen, dass du im Körper deiner Schwester aufwachst, dich aber an nichts mehr erinnern kannst, was du bisher erlebt hast. Stattdessen hast du alle Erinnerungen deiner Schwester im Kopf. „Ist Yola dann trotzdem noch Yola?“, fragt mich Vosgerau wieder. Diesmal antworte ich: „Nein, dann ist Yola nicht mehr Yola, sondern ihre Schwester.“ So wie ich würden die meisten Menschen antworten, sagt er. „Bei der Frage nach dem Ich scheint der Körper keine wesentliche Rolle zu spielen. Es geht vielmehr um die Erinnerungen und das Erleben.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Aber ist es reiner Zufall, in welchen Körper wir hineingeboren werden? Hätte Yola nicht auch im Körper ihrer Schwester zur Welt kommen können? „Diese Frage setzt voraus, dass es den Geist schon gibt, bevor er in den Körper kommt. Dem würde ich nicht zustimmen“, sagt der Professor. Seiner Meinung nach entstünden Geist und Körper zusammen. Niemand bleibe von Geburt an dieselbe Person. „Mit jeder Erfahrung verändern wir uns, gewinnen neue Erinnerungen hinzu“, sagt er. Leider könne man die Frage „Warum bin ich ich und nicht jemand anders?“ nicht mit Experimenten erforschen. Denn es gebe keine Möglichkeit, einen Personentausch auszuprobieren.
Hast Du auch eine Frage? Schreib an kinderfragen@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren