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Kinder- und Jugendbuch im FrühjahrAlles anders als gedacht

Turbulente Bildgeschichten über neue Freunde und Homeoffice sowie coole Pflegeeltern im Roman „Home Girl“ – diese Kinderbücher erscheinen im Frühjahr.

„Der Pinguin will immer nur fernsehen“: Ausschnitt aus „Seepferdchen sind ausverkauft“ Illustration: Moritz Verlag

Nun, da viele Kinder statt in die Kita zu gehen, ihre Eltern bei der Arbeit zu Hause erleben, erscheint die erfrischend anarchistische Bilderbuchgeschichte „Seepferdchen sind ausverkauft“ von Katja Gehrmann und Constanze Spengler fast wie ein aktueller Kommentar zu Home­office & Co.

Mika lebt in einer Wohnung mit seinem Vater, einem zerstreuten Tüftler mit wirrem Haar. Es ist Sommer, und der Junge hat den Schwimmring für den Ausflug an den Badesee schon aufgeblasen. Doch Papa will erst noch eine wichtige Sache am Computer beenden. Wie lange das dauert, kann er nicht sagen.

Für diese von dem Autorin­nenduo gemeinsam entwickelte Erzählung hat Katja Gehr­mann ausdrucksstarke, unprätentiöse Bilder gefunden, die im Zusammenspiel mit der Textebene eine fesselnde Dynamik entwickeln.

Rennmaus, Hund und Pinguin

Die Bücher

Katja Gehrmann (Illustration) und Constanze Spengler (Text): „Seepferdchen sind ausverkauft“. Moritz Verlag, Frank furt/Main 2020. Gebunden, 48 Seiten, 14 Euro. Ab 5 Jahren

Julian Voloj (Text) und Marcin Podolec (Illustration): „Ein Leben für den Fußball. Die Geschichte von Oskar Rohr“. Carlsen Verlag, Hamburg 2020. Gebunden, 160 Seiten, 22 Euro. Ab 11 Jahren

Alex Wheatle „Home Girl“: Aus dem Englischen von Conny Lösch. Verlag Antje Kunst-mann, München 2020. Gebun-den, 280 Seiten, 18 Euro. Ab 14 Jahren

Um endlich in Ruhe arbeiten zu können, darf Mika schließlich allein in der Zoohandlung ein Haustier aussuchen, eine Rennmaus. Im Wohnzimmer baut er ihr sofort einen aufwendigen Parcour, doch am Ende des Nachmittags ist die Maus verschwunden. Kein Problem. Wieder geht Mika mit der roten Geldbörse des Vaters zum Tierhändler und kommt mit einem niedlichen Welpen zurück. Dank seiner ausgezeichneten Spürnase findet der Vierbeiner die Maus sofort. Doch der junge Hund pinkelt ins Badezimmer.

Um das Kloproblem zu lösen, bringt Mika also einem Seehund nach Hause. Aber wer kann der wasserscheuen Maus beim Plantschen in der Badewanne Schwimmunterricht erteilen? Die Seepferdchen sind ausverkauft. Ein Brillenpinguin übernimmt die Aufgabe, obwohl der am liebsten vorm Fernseher sitzt und Tierfilme guckt. Langsam wird es eng auf dem Sofa.

Langsam wird es eng auf dem Sofa

Viel passiert auf den mit Pinsel locker kolorierten und nachträglich mit kräftigem Strich konturierten Illustra­tio­nen. Während Mika für jedes Problem schnell ein weiteres Haustier findet, scheinen dem in der Arbeit versunkenen Vater die neuen Mitbewohner sowie ihre wilden Unternehmungen tagelang zu entgehen. Daraus ergeben sich in der fesselnden Erzählung viele komische Momente, die den besonderen Reiz des Bilderbuchs ausmachen.

Graphic Novel über Oskar Rohr

Während die Wiederöffnung der Schulen bereits langsam anläuft, ist eine Rückkehr zum wöchentlichem Fußballtraining und der Wiedereinstieg in die Bezirks-, Landes- oder Verbandsliga-Spiele längst nicht in Sicht. Für viele fußballbegeisterte Kinder und Jugendliche klingt das mehr als ungerecht, und der Totalausfall ist kaum auszuhalten. Für die anhaltende Zwangspause könnte die im Frühjahrsprogramm erschienene Graphic Novel „Ein Leben für den Fußball“ der passende Lesestoff und willkommene Ablenkung sein.

In lebendigen Szenen erzählt Julian Voloj darin die Geschichte von Oskar Rohr, einem der ersten Profifußballer in Deutschland. Dessen internationale Karriere nahm nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und mit Beginn des Zweiten Weltkrieg ein jähes Ende.

Marcin Podolec zeichnete für den Comic den Aufstieg des 1912 in Mannheim geborenen Fußballtalents in dynamischen Bildern. Überzeugend fängt der polnische Illustrator darin nicht nur die Begeisterung rund um den Ball ein, sondern skizziert mit erdigen Farbtönen den historischen Hintergrund der Biografie Rohrs.

Dombi und Landauer

Ab 1928 trainiert der junge Fußballer bei Richard Kohn alias Richard Dombi. Der erkennt sein Talent, und gemeinsam wechseln sie bald zum ehrgeizigen FC Bayern München. Dort treffen sie auf Kurt Landauer, Otto Beer und Walther Bensemann – frühe Prota­go­nis­ten des Profifußballs in Deutschland. Die werden nach der Reichsprogromnacht 1938 als Juden verfolgt, verhaftet oder ermordet.

Dombi wechselte bereits 1933 als Trainer zum Grass­hopper Club Zürich in die Schweiz. Auch Bensemann, der Gründer der Zeitschrift Kicker musste Deutschland 1933 verlassen. Vereinspräsident Landauer gelang es, nach einmonatiger Haft im KZ Dachau 1939 in die Schweiz zu emigrieren. Otto Beer, Jugendtrainer vom FC Bayern, wurde 1941 von den Nazis nach Litauen deportiert und ermordet. Zusätzliche Hinweise im Anhang der Erzählung geben Informationen zu den Biografien.

Autor Julian Voloj, der 2018 zusammen mit Thomas Campi die viel beachtete Graphic Novel über den vergessenen Superman-Erfinder Joe Shuster veröffentlichte, erinnert in „Ein Leben für den Fußball“ nicht nur an die frühen Jahre des Fußballs, sondern auch an jene nach 1945 fast vergessenen Persönlichkeiten die ihn in Deutschland maßgeblich prägten. So wird am Lebensweg des politisch uninteressierten Oskar Rohrs ebenfalls allzu deutlich, dass in Zeiten von Unrecht und Willkür auch der Fußball seine Unschuld verliert.

Jugendroman aus London

Naomi Brisset ist ein Fall für die Jugendfürsorge. Ihre Mutter hat Selbstmord begangen. Der Vater ist Alkoholiker. Betreut von ihrer Sozialarbeiterin Louise pendelt die Vierzehnjährige immer wieder zwischen Heimaufenthalten und Pflegefamilien. Nun soll das Mädchen übergangsweise bei den Goldings, einer schwarzen Familie untergebracht werden.

In seinem gerade veröffentlichten Roman „Home Girl“, schildert der britische Schriftsteller Alex Wheatle, die emo­tio­nalen Achterbahnfahrten des elternlosen Teenagers und die Verwerfungen eines bürokratischen Sozialsystems. Ebenso wie ihre Freundinnen Kim und Nati aus dem Heim, ist Naomi niemals um einen Spruch verlegen.

Großzügig teilen die drei aus, wenn es heißt ihren Platz zu behaupten und damit andere auf Abstand zu halten. Doch scheinen hinter Naomis vehementen Forderungen, den para­noi­den Anschuldigungen und ihrer offensiven Abgeklärtheit immer wieder Traumatisierung und Empfindsamkeit durch.

Teenager im Gangsta-Viertel

Coleen und Tony Golding haben bereits zwei Pflegekinder, Sharyna und Pablo. Mit versteckter Neugier verfolgt die Vierzehnjährige die ungewohnt verbindlichen Umgangsformen der Familie. Naomi kann es kaum glauben, dass ihre Pflegemutter als Teenager in dem als Gangsta-Viertel verrufenen Crongton aufgewachsen sein soll.

Ebenfalls mit großem Interesse belauscht sie danach einen Streit zwischen Tony und seinem Vater, in dem der alte Mann dem Sohn Vorwürfe macht, ein weißes Pflegekind aufgenommen zu haben. Doch auch das Jugendamt ist scheinbar nicht begeistert von dem Arrangement mit den Goldings, und Louise sucht weiter nach einer „passenderen“ Pflegefamilie für Naomi.

Schon in seiner vielbeachteten Crongton-Trilogie beschrieb Alex Wheatle sprachlich überzeugend die Lebensrealität abgehängter Jugendlicher in einem fiktiven Londoner Vorort. In „Home Girl“ kümmert sich dagegen die staatliche Jugendfürsorge um Naomi. Sie hat überall ein eigenes Zimmer, oft sogar mit Fernseher. Sie ist satt und sauber. Ein Zuhause aber bekommt sie nicht.

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