Kieler Occupy-Camp bedroht: Warten auf die Räumung
Seit zwei Wochen will der grüne Bürgermeister Peter Todeskino das Zeltlager räumen lassen - doch die für Samstag erwartete Polizei tauchte nicht auf.
KIEL taz | Es ist ein überraschend ruhig an diesem Samstag im Occupy-Camp in Kiel. Die Räumung droht, veranlasst durch Bürgermeister Peter Todeskino (Grüne), doch die Leute am Tresen hinter dem Hauptzelt erzählen, dass die Polizei da gewesen sei und signalisiert habe, dass heute nichts passieren werde.
Die Szenerie in der Grünanlage ist eine Mischung aus improvisiertem Campingplatz und politischem Informationsstand: Leute sitzen an einer Tonne, in der ein Feuer brennt, jemand schält Kartoffeln. Am Mittag will sich die Ratsfraktion der Linken zu einer Sitzung im Camp treffen, und bis Montag laufen Aktionstage unter dem Motto „Yes we camp“.
Matthias Craven sammelt Unterstützerunterschriften. Er will für Occupy bei der anstehenden Oberbürgermeisterwahl kandidieren. In zehn Tagen müssen er und seine Leute insgesamt 245 Wählerinnen und Wähler zur Unterschrift bewegen, damit die Kandidatur möglich wird: 155 haben sie schon. Die Leute sollten Menschen, die nicht passen, abwählen, sagt Craven. Die Krise sei nicht zu Ende, auch der Protest müsse weitergehen.
Das Occupy-Camp am Lorentzendamm besteht seit dem 22. Oktober 2011. Es gehört zu einer weltweiten Bewegung, die gegen Folgen der Finanzkrise demonstriert, indem sie öffentliche Plätze in Besitz nimmt.
In Sichtweite von Geldinstituten liegt das Camp am Rand einer Grünanlage.
Als eine anliegende Sparkasse eine Immobilienmesse veranstaltete, hätten sie den Kompromiss gesucht und seien ein paar Meter weiter gezogen, berichten die Camper.
Am 26. Mai 2012 zerstörte ein Brand große Teile des Lagers, eine Aktivistin konnte gerade noch aus einem brennenden Zelt fliehen. Die Ursache ist nicht geklärt. FBT
Zwischen zehn und 25 Leute wohnen ständig im Occupy-Camp, 30 bis 50 kommen jeden Tag, bei Veranstaltungen sind es noch mehr. Seit zwei Wochen, erzählt Camper Joachim Müller, haben sie die Räumungsverfügung auf dem Tisch. Als der heutige Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) noch Oberbürgermeister gewesen sei, hätte er dem Camp einen Besuch abgestattet und eine Duldung ausgesprochen.
Die Camper bezweifeln, dass der amtierende Bürgermeister über ausreichende demokratische Legitimation verfügt, eine Räumung anzuordnen; eine angebotene Alternative sei nicht hinnehmbar. „Wir sind Occupy, wir wollen besetzen“, sagt Aktivist Sebastian Becker. Ihm kommt es darauf an, mit Besuchern zu reden und sie über die aktuelle Politik aufzuklären – rund um die Uhr.
Florian Jansen, Stadtrat der Linken, leitet die Fraktionssitzung zum Thema „Wem gehört der öffentliche Raum?“. Schnell ist der Zusammenhang hergestellt mit einem zweiten kommunalen Aufreger: Eine Möbelhauskette will auf städtischem Grund und Boden, der bislang für Kleingärten genutzt wurde, bauen. Joachim Müller sagt, das Camp sei eine „lächerlich kleine Fläche“ und für das Möbelhaus seien mehrere Hektar platt gemacht worden, die einst als Armengärten angelegt worden seien. Das Geschäft sei hinter verschlossenen Türen abgewickelt worden.
Unter den Teilnehmern der Sitzung ist auch der grüne Bundestagsabgeordnete Arfst Wagner. Mit scharfen Worten, die er nicht wörtlich zitiert sehen will, sagt er, dass Gremien seiner Partei auf Distanz zu Bürgermeister Todeskino gegangen seien. Er bezweifle nicht, dass dieser die Räumung durchziehen werde. „Die Sachthemen müssen weitergehen“, sagt Wagner, durch die Auseinandersetzung um den Platz werde Zeit verplempert. Man müsse einen Ort finden, ohne bei der Stadt zu betteln. Ein paar Stunden später fordert Wagner per Presseerklärung beide Seiten auf, sich zu bewegen und die Räumung auszusetzen.
Kiels Rathaussprecher Tim Holborn bekräftigt, dass die Räumung kommt: Der Ort sei eine öffentliche Grünanlage und für Wohnzwecke nicht vorgesehen. Auf Albigs Duldung angesprochen erklärt er, zwei Brände auf dem Gelände seien der Auslöser gewesen, die Situation „neu zu bewerten“. Bis Redaktionsschluss ließ die Räumung jedoch weiter auf sich warten.
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