Kiel gefährdet Merkels Strategie: Schluss mit Kuschelwahlkampf
Der ruppige Koalitionsbruch in Schleswig-Holstein gefährdet die Harmoniekampagne von Angela Merkel im Bund. Gefährlich wird es für sie, wenn die SPD jetzt Wähler motivieren kann.
BERLIN taz | Bis auf vierzig Kilometer hatte sich die Kanzlerin am Mittwoch dem Krisenherd genähert, doch kommentieren wollten sie die Kieler Erschütterungen nur ganz knapp. "Auf jeden Fall braucht dieses Land eine kooperative und handlungsfähige Regierung, denn die Zeiten sind ernst, und wir müssen politisch handlungsfähig sein", sagte Angela Merkel bei einem Betriebsbesuch in Trappenkamp, einer Gemeinde im Kreis Bad Segeberg. Der Termin war vor Ausbruch der schleswig-holsteinischen Regierungskrise geplant, im Rahmen der Mittelstandsreise, mit der Merkel eine Kernklientel der Union pflegen will.
Merkel hat gute Gründe für ihre Vorsicht. Nur auf den ersten Blick scheint das Kieler Geschehen mit ihren Berliner Plänen für den Herbst zu harmonieren. Die große Koalition mit der SPD beenden, in ein neues Bündnis mit der FDP wechseln, das ist das formale Ziel in beiden Fällen. "Die SPD braucht dringend eine Auszeit auf der Oppositionsbank - im Bund wie in Kiel", formulierte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla am Donnerstag.
Damit sind die Gemeinsamkeiten allerdings erschöpft. Die ruppige Art, mit der CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen das Regieren mit der SPD beendete, gefährdet den Harmoniewahlkampf der Mittekanzlerin im Bund.
In Berlin hat Merkel zwar mehrfach angekündigt, dass sie künftig mit der FDP regieren will - wenn es die Mehrheiten hergeben. Gleichzeitig hütet sie sich aber davor, die Arbeit der großen Koalition schlechtzureden. Sonst würde sie ihrer eigenen Kanzlerinnenschaft ein schlechtes Zeugnis ausstellen und gleichzeitig der SPD all jene Wähler zutreiben, die Merkel vor allem als weichgespülte Chefin einer schwarz-roten Regierungsmannschaft schätzen. Da ist ein Kieler Premier, der seinen SPD-Ministern den Stuhl brutal vor die Tür stellt und die eigene Regierungsarbeit schlechtredet, eher ein Risiko als eine Chance.
Auch thematisch sendet Kiel Botschaften, die Merkels Wahlkampf stören. So müht sich die Kanzlerin seit Monaten um öffentlichen Abstand zu den Bankern. Nicht zuletzt durch ihre Reise versucht sie zu zeigen: Der Staat hilft nicht nur den Großen, sondern auch dem Mittelstand. "Uns ist jeder Arbeitsplatz gleich viel wert", sagte sie gern.
Auch hierbei ist ein Koalitionsbruch nicht hilfreich, der mit SPD-Kritik an üppigen Bonuszahlungen für den Manager einer Pleitebank begründet wird. Der Berliner Unionsfraktionschef Volker Kauder stellte am Donnerstag die Zulage für HSH-Chef Dirk Jens Nonnenmacher in Frage, an der Carstensen das Regierungsbündnis scheitern ließ. "Allerdings ist die Frage offen, ob es angesichts der Schieflage der Bank noch eine Geschäftsgrundlage für Boni gibt", sagte Kauder der Berliner Zeitung.
Schließlich liegt in Schleswig-Holstein das Pannenkraftwerk Krümmel, das der Pro-Atom-Partei CDU im Wahlkampf schon genügend Kummer bereitete. Auch hier hat es Carstensen virtuos geschafft, durch seinen vermeintlichen Neuwahl-Coup ausgerechnet Merkels Schwachstellen grell auszuleuchten.
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