piwik no script img

Sport im UkrainekriegKick mit Krücke

Immer mehr beinamputierte Veteranen spielen in der Ukraine Fußball. Der Verband initiiert nun einen regelmäßigen Spielbetrieb für die Versehrten.

Freundschaftsspiel in Riwne: Das ukrainische Auswahlteam der Frauen kickt gegen eine Veteranenmannschaft Foto: Juri Konkewitsch

Luzk taz | Es ist ein warmer Sommerabend in Luzk. In der Nähe eines Fußballplatzes ziehen sich ein Dutzend Männer ihre Sportklamotten an. Sie machen einen entspannten Eindruck und versuchen zwischen ernsten Gesprächen über die Arbeit, die jüngsten Bombabardements der Russen oder Geschichten über Freunde an der Front zu scherzen. Neben Bällen, Trikots und Schuhen gehören auch Krücken zu ihrer Fußballausrüstung. Ihre Prothesen bleiben auf der Bank. Ein Arzt stellt sicher, dass die Veteranen ihre Stümpfe richtig verbinden.

Dann beginnt die Trainingseinheit der „Kreuzritter“, einer Mannschaft von beinamputierten Fußballern. „Im Spiel ist alles klar, so wie im Krieg: Es gibt Kameraden, die man nicht im Stich lassen kann, man darf nicht zurückweichen und es gibt ein Ziel – den Sieg. Ja, ich habe kein Bein, aber das ist kein Grund zu denken, ich hätte kein Leben“, sagt einer der Spieler auf dem Weg zum Trainingsplatz. In der Mitte des Platzes warten die anderen bereits. Sie haben einen Kreis gebildet: Veteranen auf Krücken umarmen sich und machen sich Mut.

Die Regeln des Amputiertenfußballs orientieren sich an den üblichen Regularien. Den Ball mit der Krücke zu spielen, ist nicht erlaubt, selbst leichte Ballberührungen sind nicht gestattet. Und im Tor steht ein Spieler mit einem amputierten Arm. Der Klub in Luzk, für den die Männer spielen, besteht aus Armeeangehörigen, die noch im Dienst sind und solchen, die bereits demobilisiert worden sind. „Bei uns spielen Militärangehörige, die sich gerade in Reha befinden und einfach kicken wollen.

Die Jungs kommen oft aus benachbarten Städten zum Training, um die Kameradschaft in der Armee beim Fußballteam wiederaufleben zu lassen“, sagt Vitali Mantschenko, Leiter der Luzker „Kreuzritter“. Der Name des Klubs spielt auf das Logo des ehemaligen ukrainischen Erstligisten Wolyn Luzk an, auf dessen Trikots Kreuze angebracht waren, die an das mittelalterliche Wappen der Region erinnern sollten.

Fußball gegen Verzweiflung

„Ich gehe nicht zum Training, um Pokale zu gewinnen oder Tore bei Wettbewerbsspielen zu schießen. Es geht darum, einen Umgang mit den Verwundungen zu finden. Viele Jungs aus unserer Mannschaft rettet das Fußballspielen vor der Verzweiflung“, sagt Jewgeni Luschtschakewitsch, der sich im Frühjahr 2022 freiwillig zum Krieg gemeldet und vor Charkiw sein Bein verloren hat.

Sein Team gibt es seit etwa einem halben Jahr. In Lwiw wird schon seit 2023 Amputiertenfußball betrieben. Damals machten Meldungen die Runde, wonach 20.000 bis 50.000 Soldaten Gliedmaßen amputiert werden mussten. „Die Ukraine hatte es mit einem Mal mit einer großen Zahl von Amputierten zu tun. Und dabei ging es nicht nur um medizinische Versorgung sondern auch um die Wiedereingliederung in den Alltag“, sagt Bohdan Melnyk, Trainer des FC Pokrowa.

Die Veteranen und Melnyk wurden damals von einer Missionseinrichtung der Griechisch-Katholischen Kirche bei der Gründung des ersten Fußballklubs für Beinamputierte im Land unterstützt. Schnell wuchs die Zahl der Spieler und bald konnte Pokrowa in der höchsten polnischen Amputiertenliga spielen. Zweimal im Monat reist der Klub zu Spielen ins Nachbarland und hat sich im Mittelfeld der Tabelle etabliert.

Liga der Beinamputierten

Das Beispiel des Klubs hat Schule gemacht. Längst gibt es an anderen Orten Klubs für versehrte Veteranen. Auch Profiklubs aus der ersten Liga wie Schachtar Donezk oder Weres Riwne betreiben mittlerweile Reha-Teams für Veteranen. Zehn Teams für Amputierte haben sich gegründet und Freundschaftsspiele auch zwischen Frauen- und Männerteams finden regelmäßig statt.

Andrij Schewtschenko, der Präsident des ukrainischen Fußballverbands, hat die Einrichtung eines Sonderfonds angeregt und eine Liga für beinamputierte Veteranen eingeführt. Zweimal hat nun bereits ein Turnier in Kyjiw stattgefunden. Schewtschenko war es gelungen, mehr als 1 Million Euro für das Projekt aufzutreiben. Anlässlich zweier Freundschaftsspiele der Nationalmannschaft in Toronto Anfang Juni sammelte der Verband Spenden bei der ukrainischen Diaspora in Kanada ein.

Doch die eigentlichen Erfolgsgeschichten liegen in den Biografien der amputierten Sportler. Da ist zum Beispiel Petro Kornaga. Er hatte sich freiwillig an die Front gemeldet und wurde bald schwer verwundet. „Der Anfang war schon sehr schwierig“, erinnert er sich. „Ich wusste nicht, wie man auf Krücken läuft und schon gar nicht, wie man den Ball spielen soll.

Auch Stürze musste er üben, lernen, wie man auf das gesunde Bein oder seinen Stumpf fällt.“ Sein Teamkamerad ist Walentyn Osowsky. Im zivilen Leben ist er ITler. 2022 hat er sich freiwillig zur Armee gemeldet, wurde verwundet und verlor ein Bein. Heute ist er Kapitän des FC Pokrowa und eine Berühmtheit im Land. Im Mai führte er vor dem Pokalfinale zwischen Schachtar Donezk und Dynamo Kyjiw den symbolischen Anstoß aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Das ist schön , so ist das richtig !



    Ich hätte einen Verweis auf den www.dbs-npc.de/ platziert. Die Ukrainer sind selbst stark genug, es ist aber nicht schlecht , sich zu vernetzen.

    "Gegen Schmerzen helfen Opium und Arbeit" (Heine)

    www.dbs-npc.de/nac...n-der-ukraine.html

  • "Die Veteranen und Melnyk wurden damals von einer Missionseinrichtung der Griechisch-Katholischen Kirche bei der Gründung des ersten Fußballklubs für Beinamputierte im Land unterstützt. Schnell wuchs die Zahl der Spieler und bald konnte Pokrowa in der höchsten polnischen Amputiertenliga spielen. Zweimal im Monat reist der Klub zu Spielen ins Nachbarland und hat sich im Mittelfeld der Tabelle etabliert."

    Ich bin jedes Mal bewegt und beeindruckt über den Mut auf- und abseits der Schlachtfelder. Es ist in einer Welt die immer verrückter zu werden scheint, so schön solche Storys über Mut und Menschlichkeit zu lesen. Danke taz.