Kerkerdrama in Österreich: Fall "im Großen und Ganzen geklärt"

Der Österreicher, der seine Tochter 24 Jahre lang versteckt und missbraucht haben soll, hat nach Angaben der Staatsanwaltschaft ein volles Geständnis abgelegt.

Fassungslosigkeit in Amstetten: Hier soll sich die Tat zugetragen haben Bild: dpa

WIEN taz Eine Autobahnstunde von Wien entfernt, zwischen dem hügeligen Alpenvorland und der rauen, Mostviertel genannten Gegend, liegt Amstetten. Im vorletzten Jahr konnte sich die niederösterreichische Bezirksstadt bereits zum dritten Mal mit dem Titel der "innovativsten Gemeinde" Österreichs schmücken. Doch seit Sonntag ist der 23.000 Einwohner zählende Ort für etwas anderes weltberühmt: als Schauplatz eines beispiellosen Kerkerdramas und als Synonym für Freiheitsberaubung, Missbrauch und mehrfachen Inzest.

Das graue, zweistöckige Gebäude mit ausgebauter Mansarde ist eines der stattlichsten Häuser in einem Stadtteil, in dem die gehobene Mittelschicht ihre Domizile inmitten üppiger Gärten errichtet hat. Am Montagvormittag ist die Straße von der Polizei abgeriegelt und wird von mehr als einem Dutzend TV-Übertragungswagen belagert. Fotografen mit dicken Teleobjektiven verfolgen die weiß gekleideten Kriminalisten, die im Haus und vor allem im unterirdischen Bunker im hinteren Teil des Gartens Spuren sichern. Dieses verborgene Verlies war fast ein Vierteljahrhundert die Welt der heute 42-jährigen Elisabeth F., einer Frau mit schlohweißem Haar, die am Samstag erstmals nach 24 Jahren wieder ans Tageslicht treten durfte.

Der Inzest genannte Geschlechtsverkehr unter nahen Verwandten ist eines der ältesten Tabus der Menschen und wird in vielen Staaten strafrechtlich verfolgt, auch in Deutschland und Österreich. Die sogenannte Blutschande wird schon in der griechischen Antike thematisiert - mit der Geschichte von Ödipus, der seinen Vater erschlug und unwissentlich mit seiner Mutter schlief - ebenso wie im Alten Testament mit der Geschichte von Lots Töchtern.

Unter medizinischen Gesichtspunkten hat das Tabu des Inzests rationale Gründe: Da Geschwister untereinander beziehungsweise Eltern und Kinder über sehr viele ähnliche Gene verfügen, ist die Gefahr, dass der Nachwuchs unter Erbkrankheiten leidet, sehr viel größer als bei nicht miteinander verwandten Elternteilen.

In Deutschland wird Inzest juristisch als "Beischlaf unter Verwandten" bezeichnet. Nach Paragraf 173 des Strafgesetzbuches ist der Geschlechtsverkehr zwischen Eltern und Kindern und zwischen Geschwistern, sofern sie über 18 Jahre alt sind, strafbar. Der Strafrahmen beträgt bis zu drei Jahre Haft - ebenso wie in Österreich. Fälle des Beischlafs mit leiblichen Abkömmlingen, also den eigenen Kindern, können am härtesten geahndet werden.

Bei einer Pressekonferenz in Amstetten erklärte Oberst Franz Polzer, der Leiter des Landeskriminalamtes Niederösterreich, den Fall "für im Großen und Ganzen geklärt": Demnach hat der heute 73-jährige pensionierte Ingenieur Josef F. seine Tochter wie eine Gefangene gehalten und offenbar sieben Kinder mit ihr gezeugt, die alle in dem V erlies zur Welt kamen. Nach Angaben der Polizei hat er sein anfängliches Schweigen gebrochen und ein Geständnis abgelegt. Inzwischen wurde er dem Haftrichter am Landesgericht St. Pölten vorgeführt.

Nicht nur die Nachbarn, auch die eigene Ehefrau oder die Kinder wollen nichts von dem Doppelleben gewusst haben, das der Mann führte: autoritärer, aber biederer Familienvater auf der einen Seite, Kerkermeister und pädophiler Sadist, der seine Tochter seit deren elftem Lebensjahr missbrauchte, auf der anderen Seite. Mit seiner Ehefrau hatte er insgesamt sieben Kinder, die inzwischen alle erwachsen sind.

Elisabeth F., die ihre Missbrauchserfahrungen niemandem mitzuteilen wusste, riss als Jugendliche zweimal von zu Hause aus. Das erste Mal wurde sie in Wien aufgegriffen. Nach der zweiten Flucht kettete sie der Vater im Keller an, den er schon vorher für solche Zwecke angelegt haben dürfte. Das war im August 1984. Unter Druck schrieb Elisabeth einen Abschiedsbrief, der den Schluss nahelegte, sie sei in die Fänge einer Sekte geraten. Gegenüber den Behörden zeigte sich der Vater besorgt und erstattete nicht nur Vermisstenanzeige, sondern bat auch die Medien um Hilfe bei der Suche.

Im Laufe der 90er-Jahre tauchten auf der Schwelle des Hauses nach und nach drei Kleinkinder auf, die allem Anschein nach von der verschwundenen Mutter dort hinterlegt und mit einem Begleitbrief ausgestattet worden waren: Die Großeltern möchten sich um sie kümmern und nicht nach der Mutter suchen. Das erste der Kinder wurde adoptiert, die anderen beiden wurden in Pflege genommen. Eine Sozialarbeiterin sah regelmäßig nach dem Rechten und fand nie Anlass für Misstrauen. Während die Lehrer nie über Leistungen oder Verhalten der Kinder klagten, berichteten Schulkameraden, die drei seien besonders verschlossen gewesen. Über die Mutter hätten sie nicht gesprochen.

Von den vier weiteren Kindern, die im Bunker geboren wurden, starb ein Zwilling mangels medizinischer Versorgung schon nach wenigen Tagen. Den Leichnam will Josef F. im Heizofen verbrannt haben. Warum die anderen drei, heute 19, 18 und 5 Jahre alten Kinder bei der Mutter im Verlies bleiben mussten, ist noch ein Rätsel, und auch die Frage, wie Josef F. seine Gefangenen mit Nahrungsmitteln versorgte, ist noch nicht im Detail geklärt.

Sicher hingegen ist, dass die vier Gefangenen in einem fensterlosen, nur 1,70 Meter hohen unterirdischen Gefängnis hausten, das mit einem engen Sanitärbereich, einer Küche und zwei Schlafzimmern ausgestattet war. Das Verlies, das hinter einem fünf Meter langen Gang liegt, dürfte im Laufe der Jahre auf fast 60 Quadratmeter ausgebaut worden sein. Der einzige Zugang zum wirklichen Leben bestand für die hier Gefangenen aus einem Fernseher, einem Videogerät und einem Radio. Die Stahlbetontür, die den Weg zur Außenwelt versperrte, war hinter einer Regalwand in der Werkstatt des Hausherrn verborgen und per elektronischen Code verriegelt.

Wenn die 19-jährige K. im Verlies nicht schwer erkrankt und am 19. April auf Druck der Mutter von Josef F. ins örtliche Krankenhaus gebracht worden wäre, hätte das Martyrium der Familie noch Jahre andauern können. Josef F. deponierte die Kranke mit einem Begleitbrief der Mutter, der die Umstände verschleiern sollte. K. leidet an einer geheimnisvollen Erbkrankheit, für deren Diagnose die Ärzte dringend nach der Mutter verlangten. Diese erfuhr in ihrem Kerker aus dem Fernsehen, dass sie der Tochter vielleicht das Leben retten könnte, und dürfte ihren Peiniger schließlich überredet haben, sie ins Spital zu lassen. Auch da tischte er seiner Frau noch ein Märchen auf und erklärte ihr, die abtrünnige Tochter sei plötzlich mit zwei Kindern wiederaufgetaucht.

Die Ärzte äußern sich zu den Genesungschancen sehr zurückhaltend. Bezirkshauptmann Heinz Lenze, der seit zwei Tagen damit beschäftigt ist, der Presse Auskunft zu geben, gleichzeitig aber die Privatsphäre der Geretteten zu schützen versucht, zeigte sich vom Tatort schockiert: "Welche furchtbaren Qualen müssen sich hinter dieser Wand abgespielt haben?" Er erzählte, dass das jüngste Kind bei seiner Befreiung einen vergnügten Eindruck gemacht und sich darauf gefreut habe, in einem richtigen Auto zu fahren.

Josef F. gab nicht nur den Geheimcode preis, der den Zugang zu dem Kellerverlies öffnete, sondern ließ sich auch eine DNA-Probe abnehmen. Erste Laborproben sprechen für die Vaterschaft. Elisabeth, ihre Kinder und ihre Mutter werden in einem Krankenhaus sozialpsychologisch betreut und vor der Öffentlichkeit abgeschirmt.

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