Kennzeichnungspflicht: Polizei sträubt sich gegen Transparenz
Rot-Grün will in Niedersachsen eine Beschwerdestelle für Konflikte mit der Polizei im Januar einführen. Gewerkschaft lehnt eine Kennzeichnungspflicht ab.
HANNOVER taz | Ab 2014 will Niedersachsen als erstes Land nach Sachsen-Anhalt eine Beschwerdestelle für Konfliktfälle zwischen Polizei und Bürgern einrichten. 200.000 Euro haben SPD und Grüne erst jüngst bei ihren Haushaltsberatungen für 2014 für die Beschwerdestelle beschlossen. Im Januar soll sie offiziell ihre Arbeit aufnehmen, bestätigt das Innenministerium.
Drei Posten sollen dafür im Ministerium geschaffen werden. Dort soll die Stelle direkt beim Staatssekretär und „außerhalb der Polizeistrukturen“ angesiedelt werden, wie die innenpolitische Sprecherin der Landtagsgrünen Meta Janssen-Kucz sagt. Gefordert hat ihre Fraktion eine solche Beschwerdestelle für Betroffene von Polizeigewalt seit Jahren, auch schon zu Oppositionszeiten. Mit der SPD einigte man sich dann bei den Koalitionsverhandlungen im Frühjahr auf eine Beschwerdestelle, an die sich Bürger und Polizisten gleichermaßen wenden können.
Per Anruf, Brief, Mail oder persönlich sollen sie sich beschweren können. Und nicht nur das, betont eine Sprecherin von Innenminister Boris Pistorius (SPD): „Auch Lob, Anfragen oder Ideen und Verbesserungsvorschläge können platziert werden.“ Zudem solle die Stelle nicht nur für die Polizei zuständig sein, sondern ein „Ideen und Beschwerdemanagement“ für den gesamten Geschäftsbereich des Ministeriums betreiben.
Bei der Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen sind die Nord-Länder unterschiedlich weit.
In Bremen kündigte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) an, Anfang 2014 eine Kennzeichnungspflicht einzuführen. Fünfstellige Nummern sollen bei geschlossenen Einsätzen getragen werden - bei Demos und Fußballspielen.
In Hamburg hat die SPD Ende des Jahres 2012 die Kennzeichnungspflicht beschlossen, allerdings im "Einvernehmen mit den Gewerkschaften", die dies bislang ablehnen. Eine Umsetzung ist nicht in Sicht.
In Schleswig-Holstein tragen PolizistInnen seit Dezember 2012 eine Nummer - laut Innenministerium "ganz unspektakulär".
Mecklenburg-Vorpommern plant keine Kennzeichnungspflicht.
Kaum besänftigen dürften die weichen Formulierungen die Gewerkschaft der Polizei (GDP). Die sieht sich nicht nur durch die Beschwerdestelle „unter Misstrauensverdacht“. Auch an der Kennzeichnungspflicht, die im Koalitionsvertrag für geschlossene Polizeieinheiten wie Hundertschaften bei Demos oder Fußballspielen geplant ist, reibt sich die sonst so SPD-nahe Polizeigewerkschaft.
„Es gibt für beides keinerlei Anlass“, sagt ihr Landeschef Dietmar Schilff. „Das Vertrauen in die Polizeiarbeit ist hoch, die Rückmeldungen sind positiv.“ Selbst anonymisierte Nummern, wie sie Bremen für seine Polizei erst vergangene Woche für das kommende Jahr angekündigt hat, lehnt die GDP in Niedersachsen strikt ab. Schilff verweist auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beamten und warnt vor einem „steigenden Risiko persönlicher Angriffe“ auf Polizisten.
Sollte Rot-Grün die Kennzeichnung gegen den Willen der Gewerkschaft durchdrücken, schließe man auch den Rechtsweg nicht aus. In Brandenburg ist der bereits eingeschlagen: Dort lassen derzeit zwei Polizisten vom Landesverfassungsgericht prüfen, ob die Kennzeichnungspflicht ihre Persönlichkeitsrechte verletzt.
In Niedersachsen hoffen SPD, Grüne und das Innenministerium unterdessen noch auf einen „Konsens“. Arbeitsgruppen tagen seit Monaten, Gespräche laufen. Die GDP ist stets dabei. „Wir garantieren, dass die Identitäten der Beamten geschützt werden“, verspricht Grünen-Innenpolitikerin Janssen-Kucz. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Ulrich Watermann kündigt eine Lösung an, „mit der alle Seiten leben können“. Denkbar wäre das schon 2014, glaubt Watermann.
Bis zum Sommer, so der Zeitplan der Koalitionäre, will man die geplante Novelle des Polizeigesetzes angehen. Die Kennzeichnungspflicht soll dabei nach Wunsch der Grünen gleich mit ins Gesetz aufgenommen werden. Anders als bei einem Erlass müssten dann nicht nur Niedersachsens Polizisten Nummern tragen, sondern auch die Beamten anderer Bundesländer, wenn sie in Niedersachsen im Einsatz sind.
Ein Weg, der auch für Watermann von der SPD „Sinn“ macht. Einzig das Innenministerium mag sich bei Fragen zum Wie und Wann der Kennzeichnungspflicht nicht festlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen