Kenias Vertriebene: Weiter auf der Flucht
Kikuyu berichten von einer regelrechten Hetzjagd auf ihre Volksgruppe im Westen des Landes. Die Nahrungsmittelhilfe läuft an, doch es fehlen spezielle Produkte für Kinder.
Die 20 schweren Lastwagen des Welternährungsprogramms waren vollgepackt, als sie unter dem Schutz mehrerer Polizeiwagen am Sonntagmorgen den Hafen von Mombasa verließen. Solche Konvois sind kein ungewöhnlicher Anblick in Kenia: Normalerweise fahren sie weiter in den Osten Kongos oder in den Südsudan. Doch die 700 Tonnen Lebensmittel, die diesmal über Kenias größten Highway rollen, sind zur Häfte für Flüchtlinge in den Slums von Nairobi, der Rest wird weiter nach Eldoret im Westen Kenias gefahren.
Während es in Kenias Hauptstadt am Wochenende größtenteils friedlich blieb, strömten anderswo immer noch tausende Vertriebene vom Land in die Städte. Die UN sprachen von mindestens 250.000. In Nakuru kampierten tausende Kikuyu, Angehörige der Volksgruppe, der auch der umstrittene Präsident Mwai Kibaki angehört, auf dem Ausstellungsgelände der Stadt. Nachdem das Militär die Straße gesichert hat, kamen am Sonntag ständig Busse an, voll mit Vertriebenen aus dem Westen, wo die Kikuyu eine Minderheit sind. Sie alle berichten von einer regelrechten Hetzjagd auf Kikuyu.
Das Gleiche hört Marcus Prior, der für das Welternährungsprogramm in Eldoret zuständig ist. Täglich kämen Flüchtlinge an, die in Schulen, Polizeistationen und Kirchen Unterschlupf suchen. "Wir brauchen Hochenergie-Nahrung aus Soja und Mais für Kinder, die von Unterernährung bedroht sind", berichtet Prior. 40 Prozent der Vertriebenen sind Kinder. "Ihnen muss schnell geholfen werden, weil die Familien ihre Häuser verlassen haben, ohne etwas mitzunehmen."
Zwischen den Kalenjin, die in dieser Region des Rift Valleys die Bevölkerungsmehrheit stellen, und den Kikuyu herrscht seit der Verkündung des umstrittenen Wahlergebnisses zugunsten von Präsident Mwai Kibaki offener Krieg. "Die Kikuyu respektieren keine andere Ethnie", warnt der Kalenjin-Älteste John Sang. "Wir wollen, dass sie dahin zurückgehen, woher sie gekommen sind."
Grace, eine Studentin aus Mombasa, deren Mutter Kikuyu ist, schluchzt ins Telefon: "Meine Mutter lebt seit 30 Jahren in der Nähe von Kisumu, aber jetzt hat man sie als Kikuyu-Hure beschimpft, ihr Geschäft abgefackelt und das Haus niedergerissen. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch am Leben ist." Grace studiert in Mombasa, mehr als eine Tagesreise von Kisumu am Viktoriasee entfernt. Im Moment aber gibt es keine Busse, und wenn, haben sich die Preise für die Tickets verdoppelt oder verdreifacht.
Eine politische Einigung zwischen Präsident Kibaki und Oppositionsführer Raila Odinga, der den Wahlsieg für sich in Anspruch nimmt, war unterdessen immer noch nicht in Sicht. Nach zwei Treffen mit US-Staatssekretärin Jendayi Frazer erklärte Odinga seine Bereitschaft, mit Kibaki zu verhandeln - jedoch nur unter internationaler Vermittlung. "Ausgangspunkt ist, dass Kibaki illegal an der Macht ist. Er kann nicht als neuer Präsident mit uns verhandeln", so Odinga. Den Vorschlag Kibakis, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, lehnte er ab.
Unterstützung erhielt er von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, die am Sonntag eine unabhängige Überprüfung des Wahlergebnisses forderte. 27 kenianische Bürgerrechtsgruppen sprachen sich ebenfalls gegen eine Anerkennung von Kibakis Wahl aus.
Ghanas Präsident John Kufuor, derzeit auch Vorsitzender der Afrikanischen Union, ließ am Wochenende mitteilen, er werde vielleicht schon am Dienstag nach Kenia fliegen, um zu vermitteln. Das dürfte vor allem die Opposition freuen. Die Regierung sah bisher keine Notwendigkeit für eine Vermittlung.
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