Keine Reform des Paragrafen 218: Wut über die Blockierer – und dennoch Triumphgefühle
Eine Entkriminalisierung von Abtreibungen wird es vorerst nicht geben in Deutschland. Wie bitter. Aber wir sind viele und wir kämpfen weiter!
L ebendig beerdigt. Das schreibe ich einer Freundin zurück, als sie mich nach der Reform von Paragraf 218 fragt. Ein Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung des frühen Schwangerschaftsabbruchs ist am Montag gescheitert. Trotz der erdrückenden Menge von Argumenten haben Union und FDP den Antrag im Rechtsausschuss versenkt.
Meine Freund:innen, meine Kolleg:innen, meine Nachbar:in, ich selbst – wir sind damit weiterhin der Körperpolitik des Paragrafen 218 Strafgesetzbuch ausgesetzt. Werden wir ungewollt schwanger, stecken wir in einem rechtlichen Konstrukt, das bewusst im Strafrecht verankert ist. Denn der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft in den ersten 12 Wochen ist eine Straftat. Nur durch eine Ausnahmeregelung, die eine Beratung und Wartefrist vorsieht, ist er straffrei.
Ungewollt Schwangeren wird also weiterhin unterstellt, gegen sich selbst, gegen ihren eigenen Körper, gegen die Möglichkeit von Leben in ihrem eigenen Körper zu handeln und zu entscheiden. Die Begründung ist der Lebensschutz des Embryos. Dabei wird ein Konflikt aufgemacht zwischen Embryo und der austragenden Person. Eins gegen eins, ist leicht zu verstehen.
Den Gegner:innen von Frauen, non-binären Menschen und trans Männern bietet es die perfekte Gelegenheit, einmal mehr gegen Frauen, non-binäre Menschen und trans Männer zu sein.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Viel schwieriger, verworrener, komplizierter wäre es hingegen anzuerkennen, dass es dieses Eins gegen eins von Embryo und schwangerer Person so nicht gibt. Dass das eine vom anderen existenziell abhängt, dass das eine nicht ohne den anderen sein kann.
Unsagbar scheint auch 2025 der Gedanke: Das Leben von Menschen mit Uterus ist in ihrer Ganzheit notwendig, um menschliches Leben hervorzubringen. Das ist größer als Gesetze, größer als Verbote. Diese Menschen sind – angemessen pathetisch – nichts weniger als der Ursprung des Lebens. Man stelle sich vor, diese Macht.
Sie kann Angst machen. Sie macht all denjenigen Angst, deren eigene Macht nur darin besteht, sich einmal mehr gegen die Reform von Paragraf 218 und gegen eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts zu stellen. Vor allem den Männern in Union, FDP und AfD. Über die besonders perfide Rolle der FDP, die sich selbst liberal nennt und die Abtreibungsliberalisierung im eigenen Wahlprogramm stehen hat, wäre viel zu sagen – doch was soll man sich noch mit einer Partei befassen, die voraussichtlich in einer Woche in der Irrelevanz verschwinden wird?
Diese Personen also klammern sich an das letzte bisschen Kontrolle, dass sie über die Körper von Menschen mit Uterus zu fassen bekommen. Sie schließen die Augen, kneifen sie fest zu, vor der Realität, in der 80 Prozent der Bevölkerung eine Entkriminalisierung des Abtreibungsrechts befürworten, in der in Deutschland in jedem Jahr um die 100.000 Abtreibungen vorgenommen werden, straffrei, aber nicht rechtmäßig.
Meine Gefühle gegenüber diesen Blockierer:innen, sie sind stark, sie sind auch hässlich, sie sind wutentbrannt. Doch ihnen will ich nicht den Raum hier überlassen. Fast unwürdig wäre es, sich auf dieses Niveau hinabzubegeben. Was will ich noch diskutieren, was will ich noch beweisen, außer das, was unzählige Feminist:innen seit über 100 Jahren jeden Tag schon besser bewiesen haben? Die Argumente sind ausgetauscht.
Meine wirklichen starken Gefühle sind triumphal. Die letzten Monate haben einmal mehr gezeigt, wie viele sensible, schlagfertige, kluge Menschen diesen Kampf für Selbstbestimmung zusammen kämpfen. Und sie werden nicht aufgeben.
Amelie Sittenauer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte über Solarenergie
Mentalitätswechsel nötig
Kursrutsch in den USA
Nicht mehr so kreditwürdig
Ukraine-Gespräche in Saudi-Arabien
Was Selenskyj noch bleibt
Drohungen gegen taz-Redakteur
Chefredaktion zu Anfeindungen gegen Nicholas Potter
Die Grünen und die Schuldenbremse
Im Nein steckt eine Chance
Geplante Grundgesetz-Änderungen
Linke stellt Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht