piwik no script img

Keine Coronatests trotz direktem KontaktVor dem Virus kapituliert

In Bremen soll ab jetzt auch für Kontaktpersonen der Kategorie 1 kein Coronatest mehr gemacht werden: Die Labore sind schlicht überlastet.

Die Labore sind mit der Auswertung der Coronatests zunehmend überlastet Foto: Peter Steffen/dpa

Bremen taz | Bisher reichte direkter Kontakt zu Corona-Infizierten allerorten für eine Test-Empfehlung des Gesundheitsamtes aus. Bremen schert jetzt aus diesem Konsens aus: Auch Kontaktpersonen der ersten Kategorie werden nicht mehr getestet, wenn sie keine Symptome zeigen. Einzig für Risikogruppen oder Menschen mit viel Kontakt zu solchen gelten weiter andere Vorschriften.

Der Grund für die Entscheidung: Die Labore sind überlastet. In der vergangenen Woche hatte sich bei insgesamt 18.300 durchgeführten Tests bereits ein Rückstau gebildet. Der liegt zwar vor allem an fehlendem Material, das nun nachgeliefert werde, dennoch sieht sich das Land am Rande der Kapazitäten.

„Im Fokus steht der Schutz der vulnerablen Gruppen“, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher der Bremer Gesundheitsbehörde. „Wenn wir jetzt nicht etwas ändern, werden wir die Laborkapazitäten in den Pflegeeinrichtungen oder Kliniken bald schmerzlich vermissen.“ Dort beginne man jetzt mit den Schnelltests – all die so erlangten positiven Ergebnisse müssten zusätzlich mit PCR-Tests bestätigt werden, was für die Labore weitere Arbeitslast bedeuten werde.

Schon jetzt ist die Positivquote in Bremen so hoch wie noch nie: Rund acht Prozent der Getesteten haben Corona. Das spricht eigentlich nicht dafür, dass aktuell zu breit getestet wird.

Auch anderswo wird die Verfolgung schwieriger

Auch andere Länder kommen mit dem Testen oft nicht mehr hinterher. „Ich vermute, dass wir das verkünden, was andere Bundesländer einfach stillschweigend so machen“, vermutet Fuhrmann.

Nicht nur Tests, sondern die gesamte Kontaktermittlung bereitet dabei Probleme: In einem Bericht der Neuen Osnabrücker Zeitung vom Mittwoch gesteht ein Sprecher aus Verden ein, dass eine „Nachverfolgung aller Infektionsketten innerhalb von 48 Stunden nicht mehr möglich“ sei. Das Gesundheitsamt setze seine Schwerpunkte daher auf die Isolierung der Infizierten und den Schutz von Gemeinschaftseinrichtungen und Risikogruppen.

In Hamburg zumindest will man vom Bremer Weg aber noch nichts wissen. „Alle Kontaktpersonen 1. Grades können sich auf Corona testen lassen“, heißt es aus der dortigen Gesundheitsbehörde. man befolge damit die Empfehlungen des Robert-Koch-Institus (RKI).

Mit denen begründet man auch in Bremer Gesundheitsressort das eigene Vorgehen – schließlich habe das RKI gerade neue Empfehlungen gegeben. Das stimmt zwar, allerdings rückt das RKI darin gerade nicht von der Testung von Kategorie-1-Kontakten ab. Das Institut empfiehlt stattdessen, bei unklarer Symptomatik Menschen ohne direkten Kontakt nicht prioritär zu testen.

Ohne Tests kann Kontrollverlust folgen

Was bedeutet also eine Aussetzung der Tests für die Praxis? Kontaktpersonen der ersten Kategorie sollen auch weiterhin in Quarantäne; anstecken können sie also ohnehin niemanden. Lediglich die täglich neuen Infektionszahlen werden voraussichtlich unzuverlässiger. Die Möglichkeit, durch einen negativen zweiten Test vorzeitig aus der Kontakt-1-Quarantäne entlassen zu werden, gab es in Bremen ohnehin nicht.

Epidemiologisch hätte die neue Art zu testen also geringe Folgen, könnte man zunächst meinen. Das stimmt aber nur auf den ersten Blick: Symptom­arme Corona-Infizierte haben in den Tagen vor ihrer Quarantäne womöglich schon Menschen getroffen. Da sie selbst nicht positiv auf Corona getestet werden, besteht für ihre eigenen Kontaktpersonen auch keine Vorschrift zur Quarantäne oder Selbstisolation – die Kontrolle über das Ansteckungsgeschehen schwindet weiter.

„Ein Problem ist das ganz sicher, aber kein absolut großes“, glaubt Fuhrmann von der Gesundheitsbehörde. Schließlich seien Menschen ohne Krankheitssymptome auch weniger ansteckend.

Funktionsfähige Labore haben Priorität

„In einer idealen Welt“, sagt der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb, „würde ich das Vorgehen natürlich nicht empfehlen.“ Die Gefahr, dass sich das Virus über unerkannte Infektionswege verbreitet, sei mit einer solchen Strategie größer. „Mein eigener Zugriff, andere Personen über eine Bedrohung zu informieren, ist kleiner, wenn ich kein Ergebnis bekomme“, sagt Zeeb. Doch auch er sieht die überlasteten Labore. „Die müssen funktionsfähig gehalten werden, vielleicht muss dahinter alles andere zurückstehen.“

Für den Vorsitzenden des Bremer Hausärzteverbandes ist die Entscheidung, die Nachverfolgung durch weniger Tests einzuschränken, gar nicht so revolutionär. „Lange wurde uns vermittelt: Wir wollen alle testen, um alle zu erfassen“, sagt Hans-Michael Mühlenfeld. „Aber aus dieser Containment-Strategie sind wir schon länger raus, das sagt nur keiner so deutlich.“

Für die Gesundheit des Einzelnen, so beruhigt er aber, habe ein Test ohnehin nur begrenzte Bedeutung. Schließlich ändert sich die Therapie bei milden Symptomen mit einer Diagnose nicht weitgehend. Patient*innen mit kratzendem Hals empfiehlt er deshalb schon länger, sich weitgehend zu isolieren und die Entwicklung genau zu beobachten, statt gleich zu testen.

Problematisch könnte die neue Teststrategie für die Schulen werden – gerade Jugendliche bleiben oft symptomarm. Regelungen wie Unterricht in halben Klassen oder der Umstieg auf Homeschooling werden von den Ländern, auch von Bremen, aber weiterhin abgelehnt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Diese Strategie gibt es schon lange, nur wird sie jetzt erst vorsichtig kommuniziert. Ich bin Lehrer und habe selbst mehrere Fälle erlebt (bereits vor über sechs Wochen), bei denen Familienmitglieder von Schüler*innen positiv getestet wurden, das Gesundheitsamt dann aber den Schüler*innen mitteilte, dass sie sich nicht testen lassen sollen, sondern sich einfach für zwei Wochen in Quarantäne begeben sollen.



    Ergebnisse:



    - wer mit einer positiv getesteten Person in einem Haushalt lebt, ist höchstwahrscheinlich selbst infiziert, wenn auch asymptomatisch



    - natürlich hatten die Schüler*innen vor dem positiven Test des Familienmitglieds Kontakte, u.A. in der Schule



    - in der Schule werden nur Klassen / Kohorten in Quarantäne geschickt, wenn bei Schüler*innen in positiver Test vorliegt



    - da den Schüler*innen mitgeteilt wird, sie sollen sich nicht testen lassen, liegt dementsprechend auch kein positiver Test vor, alles geht dementsprechend weiter als wäre nichts gewesen



    - Effekt für die Statistik: die Schüler*innen tauchen in hr nicht auf, zu Schüler*innen in Quarantäne werden, laut Bremer Bildungsbehörde, keine Statistiken erhoben www.bildung.bremen...men117.c.237989.de



    - was wiederum als Argument hergenommen wird, dass das Infektionsgeschehen in den Schulen nicht relevant genug ist, um z.B. Halbgruppenunterricht einzuführen

    Das erinnert dann doch an die Kleinkind-Strategie, wenn ich die Augen schließe, ist die Welt nicht da. Und das ganze auf dem Rücken der Schüler*innen und Lehrkräfte

  • Kurzsichtig!



    Wie sollen den Infektionsketten unterbrochen werden, wenn nicht getestet wird?



    Jede positive Kontaktperson hat doch weitere Kontakte.



    Eindämmen geht nur mit Klarheit - nicht mit Kopf in den Sand stecken!



    Warum gibt es nicht mehr Testkapazitäten?



    So etwas kann man durchaus organisieren - es gab genug Vorlaufzeit. Personal gibt es auch genug, Muss man nur auch machen!



    Leider gibt es offenbar immer noch keine strategische Planung der Vorgehensweise ...