: Kein Sinneswandel
Falls es in Karlsruhe eine Fünf-zu-drei-Abstimmung gegen das Gesetz gegeben hat, sind die Verhältnisse zementiert
BERLIN taz ■ Gudrun Schraft-Huber hatte gestern einen harten Tag. Pausenlos musste sie erklären, dass das Bundesverfassungsgericht noch keineswegs abschließend über das Zuwanderungsgesetz entschieden habe, ja dass die Richter sich sogar bis zur letzten Minute vor der Verkündung umentscheiden können. „Auch wenn der Zuschauersaal schon voll besetzt ist und der Saaldiener bereits die Tür geöffnet hat, kann einer der acht Richter noch sagen: ‚Halt, ich will noch einmal in die Beratung eintreten.‘ “ So stehe es in der Geschäftsordnung des Gerichts.
Beim Streit um das Zuwanderungsgesetz aber ist ein Sinneswandel in letzter Minute besonders unwahrscheinlich. Schon bei der mündlichen Verhandlung Ende Oktober sagte Vizepräsident Winfried Hassemer: „Wohl noch nie sind vor einer Verhandlung die wissenschaftlichen Argumente so komplett ausgetauscht worden.“ Und auch in der mehrstündigen Anhörung kamen keine neuen Aspekte zur Sprache.
Die unionsregierten Länder beharrten auf dem Nein von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm. Sein Votum habe die – für die Abstimmung im Bundesrat entscheidenden – Stimmen des Landes ungültig gemacht. Die SPD-regierten Länder sowie die Bundesregierung meinten dagegen, dass am Ende das „Ja“ von Ministerpräsident Manfred Stolpe zählte, weil Schönbohm nicht beharrlich genug gewesen sei.
In der Verhandlung ließen viele der acht Mitglieder des Zweiten Senats klare Sympathien für die eine oder andere Seite erkennen, und zwar durchweg im Sinne des Lagers, das sie einst nominierte. Deshalb war von vielen Beobachtern am Ende des Tages über ein Patt spekuliert worden – womit freilich die Klage der Union gescheitert wäre.
Nun aber meldeten Berliner Zeitung und Süddeutsche Zeitung, es habe sich im Zweiten Senat eine 5-zu-3-Mehrheit für die Unionsklage gebildet. Auszuschließen ist das nicht. Gerade den linken Richtern ist es peinlich, wenn nach Lagern abgestimmt wird. Es könnte also sein, dass einer von ihnen sein Unbehagen über die gequälte Abstimmung im Bundesrat über das Interesse am Einwanderungsgesetz gestellt hat.
Bisher hat in Karlsruhe wohl nur eine Tendenzberatung stattgefunden. Hierbei besprachen die Richter den Verlauf der mündlichen Verhandlung und signalisierten dem Berichterstatter Udo Di Fabio, zu welcher Position sie neigen. Auf dieser Grundlage verfasst der Konservative Di Fabio derzeit seinen Urteilsentwurf, der in einer mehrtägigen Leseberatung intensiv diskutiert werden wird.
Nach Angaben der SZ sollen die endgültigen Beratungen am 27. November beginnen. Allerdings ist an diesem Tag gar keine Senatsberatung angesetzt, wie Pressesprecherin Schraft-Huber süffisant erklärt. Für sie ein klares Indiz dafür, dass der Bericht über die Karlsruher Vorentscheidung jeder Grundlage entbehrt.
Fraglich ist auch, ob in Berlin tatsächlich bereits „in diversen Beratungsrunden“ die Folgen des Karlsruher Urteils diskutiert werden. Sowohl aus der grünen Fraktion wie auch aus dem Justizministerium war zu hören, dass man bisher nicht von einem juristischen Scheitern ausging und nur „für den Fall der Fälle“ auch über Alternativplanungen gesprochen habe. Die Berliner Zeitung blieb auf Nachfrage jedoch bei ihrer Darstellung: Rot-grüne Quellen hätten eindeutige Erkenntnisse über den Diskussionsstand in Karlsruhe.
Warum aber sollten die ominösen rot-grünen Quellen nahe stehende Medien mit diesen Informationen versorgen? Die immer wieder gehörte Vermutung, so solle ein abweichender linker Richter zur Umkehr gemahnt werden, macht wenig Sinn. Wer sich in der juristischen Bewertung der Bundesratsabstimmung einmal positioniert hat, kann seine Haltung jetzt wohl nur noch unter Opferung der Reputation revidieren.
Falls es in Karlsruhe also eine 5-zu-3-Abstimmung gegen das Gesetz gegeben hat, sind die Verhältnisse hiermit zementiert.
CHRISTIAN RATH
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