: Kein Schutz vor Übergriffen
Belästigung: Kieler Behördenleiter beurlaubt
Eine Behörde, die den „Schutz“ schon im Namen trägt – was sollte da Böses passieren? Aber ach, trügerisch ist das Wort. Am Montag wurde der Chef des Verfassungsschutzes in Schleswig-Holstein in den Zwangsurlaub geschickt, der Geheimnisträgerstatus wurde ihm entzogen. Der 58-Jährige soll sich „ungebührlich“ gegenüber seinen Untergebenen verhalten haben, konkret geht es um die weiblichen.
Mehr ist derzeit nicht bekannt, und bewiesen ist noch weniger. Durchaus möglich, dass der Mann komplett rehabilitiert wird und ins Amt zurückkehrt – „Alles ist offen“, sagt Kiels Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU). Aber die Beurlaubung am Montag war kein Schnellschuss: Das Innenministerium erfuhr Mitte Juli von den Vorwürfen und fand sie nach vierwöchiger Prüfung offenbar so gravierend, dass sie den Mann aus dem Amt entfernten.
Der ehemalige Polizist – er war beim Bundeskriminalamt und stand danach an der Spitze des Landeskriminalamtes in Brandenburg – ist seit 2011 Behördenleiter in Kiel. In dieser Zeit soll es auffallend viele Wechsel von Mitarbeiterinnen aus dem engeren Umfeld des Chefs gegeben haben. Die Rede ist auch von „fragwürdigen Inhalten“, wohl pornografisches Material, das vor Jahren auf einem Dienstrechner gefunden wurde. Zurzeit läuft ein Disziplinarverfahren.
Ob die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird, steht nicht fest. Männer, Macht und Übergriffe: Die Konstellation ist alles anderes als neu. Gerade in Institutionen und Organisationen, in denen die oberen Rängen überwiegend mit Männern besetzt sind, gibt es strukturelle Probleme. Wer hören, sehen, lesen kann, weiß das nicht erst seit #meToo.
Daher stellt sich in der gesamten Debatte – nicht nur in diesem Kieler Fall, der bisher keinesfalls bewiesen ist – stets auch die Frage, ob die Organisation insgesamt versagt. Ob es Leute gab, Männer wie Frauen, die etwas ahnten, aber einem Opfer nicht zu Hilfe kamen. Die wegschauten, mitlachten, nichts gegen beleidigende Sprüche unternahmen.
Sich gegen Kollegen und gerade gegen Vorgesetzte zu stellen, erfordert Mut. Dennoch sind Zivilcourage und Solidarität die besten Rammböcke gegen die Pfeiler alter Strukturen. Und nein, es geht nicht um Flirt- und Witzverbote im Büro. Es geht um Missbrauch von Macht, also eine der schäbigsten menschlichen Verhaltensweisen überhaupt. Das ist überall das Hinterletzte – erst recht in einer Behörde, die den Schutz im Namen trägt. Esther Geißlinger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen