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Kein Protest bei Japans Jugend

■ Japans Vize-Konsulin hält Vortrag an der Schule Hamburger Straße

Yumikos Freunde werden immer fleißiger, so wie die japanische Gesellschaft es von ihnen erwartet. Die 18-Jährige aber lebt nicht nur für die nächsten Prüfungen. Deshalb bekommt sie immer schlechtere Noten. Leistungsdruck ist in Japan als nützliches und notwendiges Erziehungsmittel auf dem Weg zum Erfolg angesehen. Für Bremer Jugendliche, die abgesehen von ein paar Hausaufgaben nachmittags tun und lassen können, was sie wollen, ist dies eine abstrakte Vorstellung. Die japanische Vize-Konsulin Maya Tanigaki kam nach Bremen, um den Schülern hier die Unterschiede zwischen europäischer und japanischer Erziehung und Jugendkultur näher zu bringen. Die 18-jährige Japanerin Yumiko diente dabei als Repräsentativfigur.

Rund 70 Bremer Schüler, Eltern und Lehrer kamen zu dem Vortrag am Schulzentrum an der Hamburger Straße. Dort lernen inzwischen über 50 Schüler der Oberstufe Japanisch. Ab 2003 soll die fernöstliche Sprache bereits ab der neunten Klasse angeboten werden. Ein dreiwöchiger Austausch mit Kyoto ist auch geplant. Da interessiert es natürlich nicht nur die Schüler brennend, wie Jugendliche in Japan eigentlich leben.

Tanigaki erzählt, dass nach dem zweiten Weltkrieg die US-Amerikaner maßgeblich das Erziehungsgrundgesetz Japans erarbeitet haben. So hat sich heute eine Mischkultur aus Traditionen und westlichen Einflüssen etabliert, in der die Jugendlichen zu modernen Hochleistungsbürgern heranwachsen.

Jugendliche in Japan sind täglich von halb neun morgens bis halb vier nachmittags in der Schule. Danach steht keinesfalls Freizeit an. „Die Schüler der Grundschule und Mittelstufe müssen obligatorisch an einer der sportlichen Clubaktivitäten teilnehmen“, erzählt Tanigaki. Für die meisten japanischen Jugendlichen ist es ganz normal, täglich nach der Schule mindestens zwei Stunden Sport zu treiben und so erst spät nach Hause zu kommen. Erst in der Oberschule können die Söhne und Töchter Nippons selbst entscheiden, wie sie ihre Freizeit verbringen wollen. Frei sind sie dann aber längst nicht mehr: Denn nur wer sich als „japanisches Wunder“ entpuppt, so werden im Reich der aufgehenden Sonne die Prüfungsbesten genannt, hat Chancen auf eine „Anstellung auf Lebenszeit“, eine fernöstliche Besonderheit: Ausgehend von der starken Identifikation der Menschen mit ihren Firmen schwören sich Management und Arbeitnehmer Treue bis zur Pensionierung. Bei großen Privatunternehmen war dies ehemals ganz normal. Im Zuge der Rezession sind diese Stellen aber rar geworden und begehrt.

Yumiko möchte nach der Oberschule studieren. Daher muss sie nach der Schule noch die „Juku“-Bank drücken. „Juku“, eine Art Nachhilfeschule (oder Zusatzausbildung für besonders Interessierte – je nachdem, in welcher Situation der Schüler steckt), ist für Yumiko unerlässlich, wenn sie die Aufnahmeprüfung schaffen will Japans Vize-Konsulin Maya Tanigaki, die die ersten neun Jahre ihres Lebens in den Vereinigten Staaten aufwuchs, kritisiert den allgegenwärtigen Zwang: „Die gesamte Struktur in Japan ist schuld am Druck, der auf Jugendlichen lastet: Firmen, Eltern, Schulen und die ganze Gesellschaft.“Aber sie erzählt auch von den ganz normalen Sorgen, die japanische wie europäische Teenager quälen: Ein Pickel im Gesicht, das Gewicht stimmt nicht, und die Schuluniform ist zu langweilig.

Nach Tanigakis Vortrag haben die Bremer Schüler noch viele Fragen an die Vize-Konsulin: „Ab wann darf man in Japan Alkohol trinken?“ – „Erst ab 20.“ Die Antwort kommt so schnell, als hätte Tanigaki geradezu auf diese Frage gewartet. „Wie viel Freizeit haben Schüler in Japan?“ – „Eigentlich haben sie nur am Wochenende Zeit“, erzählt Maya Tanigaki. „Cafés sind aber nicht sehr beliebt, die Jugendlichen gehen lieber ins Kino oder shoppen.“ brit

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