Kein Platz in Russland: Atommüll in der Ostsee
Das russische Militär soll zu Beginn der 90er Jahre radioaktive Abfälle sowie chemische Mittel zwischen Gotland und der Küste Lettlands in der Ostsee versenkt haben.
STOCKHOLM taz | In Schweden sorgt ein Fernsehbericht über radioaktiven Müll in der Ostsee für Diskussionen. Das russische Militär soll den Müll zu Beginn der Neunzigerjahre dort versenkt haben. Nun ermittelt die Spezialanklagebehörde für Umweltkriminalität. "Die Erkenntnisse, die wir haben, reichen für den hinreichenden Verdacht einer Straftat", erklärte Oberstaatsanwalt Mats Palm.
Die fraglichen Erkenntnisse kommen aus Berichten des schwedischen Militärgeheimdiensts MUST, die jetzt öffentlich wurden. Demnach soll die Rote Armee im Zusammenhang mit der Abwicklung sowjetischer Militärbasen im Baltikum zu Anfang der Neunzigerjahre eine unbekannte Menge an Behältern mit radioaktiven und chemischen Abfällen per Schiff in ein Gebiet zwischen der schwedischen Ostseeinsel Gotland und der Küste Lettlands transportiert und dort versenkt haben.
Wie der Fernsehsender SVT berichtet, sei die schwedische Regierung spätestens 1999 von MUST darüber informiert worden. Sie habe jedoch nichts unternommen und auch die übrigen Ostseeanrainer nicht informiert. Angeblich weil man von vorneherein eine mögliche Bergung des Mülls als unmöglich oder als zu aufwendig einschätzte, möglicherweise aber auch, weil man Streit mit Moskau vermeiden wollte.
Das Material soll größtenteils von der nahe dem lettischen Liepaja gelegenen Militärbasis Karosta stammen. Laut Jui Rakas, Militärhistoriker aus Riga, wurden bei der Auflösung der Stützpunkte der Roten Armee in den selbstständig gewordenen baltischen Staaten große Mengen an Abfall und Militärmaterial "versenkt, vergraben und verkauft": "Es gab keinen Platz dafür in Russland, man hatte keine Lager, keine Transportmöglichkeiten und kein Geld", sagt Rakas.
Auch früher wurde die Ostsee schon belastet: Seit dem Ersten Weltkrieg waren in der Ostsee zehntausende Tonnen Munition und chemische Kampfmittel versenkt worden. In den Sechzigerjahren wurde dies nach und nach verboten.
Regierungschef Fredrik Reinfeldt hat angekündigt, sich bei Mitgliedern der damaligen - sozialdemokratischen - Regierung über die Vorgänge zu informieren. Das ehemalige Kabinettsmitglied Jan Eliasson sagt, er habe keine Kenntnisse darvon gehabt, fordert aber eine umgehende Untersuchung: Schließlich sollen in der Ostsee demnächst Gas- und Stromleitungen für die Ostseepipeline verlegt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen