Kein Entzug ohne Nachwirkungen: Opiatentzug in Narkose
Seit 1997 führt das Jüdische Krankenhaus Berlin den „Turboentzug“ durch. Frau Dr. G. Partekke von der Abteilung für Anästhesie und spezielle anästhesiologische Intensivmedizin hat Jugendliche im Krankenhaus bei ihrem Entzug begleitet und betreut. Sie teilte Zeitdruck ihre Erfahrungen mit: Die Patienten, die zum Entzug kommen, werden von suchttherapeutisch erfahrenen Ärzten in Zusammenarbeit mit psychosozialen Betreuern auf diese Entzugsform vorbereitet.
Es sind mehrere Voruntersuchungen dazu nötig, und die Motivation der Patienten, sich dieser Entzugsmethode zu unterziehen, muss durch mehrere Gespräche ausgiebig geprüft werden. Dabei werden alle Aspekte beleuchtet, so zum Beispiel, dass diese Entzugsform zwar die Zeit mit schweren Entzugssymptomen verkürzt, aber mit dem Ende der Narkose nicht alle Symptome verschwunden sind. In den ersten Tagen nach der Narkose können noch Probleme wie Durchfall, Schlaflosigkeit und auch Schmerzen in den Beinen auftreten.
Zur Besserung dieser Entzugssymptome erhalten die Patienten symptomatisch Medikamente, dennoch sind die subjektiven Empfindungen für diese Symptome sehr unterschiedlich. Manche Patienten sind so froh, endlich von ihrem Stoff runter zu sein, dass sie die Symptome nicht so schlimm empfinden.
Eines der gravierenden Probleme scheint die abrupte neue Empfindung zu sein: Das Riechen, Fühlen, Schmecken ist plötzlich anders als jahrelang gewohnt und löst deutliches Missbehagen aus. Nachdem die Patienten sich daran gewöhnt haben, was selbstverständlich auch individuell mehr oder weniger langsam geht, sind sie in aller Regel mit sich sehr zufrieden und froh, diesen Entzug gemacht zu haben, obwohl sie sich sehr häufig noch lange Zeit schlapp fühlen, was verständlich ist, denn der gesamte Stoffwechsel muss sich an die neuen Gegebenheiten anpassen. Wichtige Unterstützung der nachfolgenden Zeit zur Rückfallprophylaxe ist die weitere Einnahme von Nemexin entweder in Tablettenform unter Aufsicht oder als 4 bis 6 Wochen wirksames Implantat; dabei wird Nemexin in die Bauchdecke eingepflanzt, was in örtlicher Betäubung geschieht und in der Regel sehr gut vertragen wird.
Die Beurteilung dieser Entzugsform ist sehr unterschiedlich: Viele sind froh, denn ohne Narkose hätten sie abgebrochen; viele haben sehr gelitten, trotz medikamentöser Unterstützung. Diejenigen, die noch keinen endgültigen Rückfall gebaut haben, empfinden das Verfahren als sehr hilfreich, ein opiatfreies Leben zu führen.Text entnommen aus: Zeitdruck Nr. 24/1999
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