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Kein Bleiberecht für „Joseph“?

■ Vierte Klasse protestiert beim Innensenator gegen die Abschiebung ihres libanesischen Mitschülers / Koalitions-Chefs wollen humanitäres Bleiberecht für zweite Generation prüfen

Eigentlich heißt er Jussuf Sado. Aber in der Schule sagen alle Joseph. Das hat sich in vier Schuljahren so eingebürgert. Jetzt macht sich die Klasse Sorgen um den schüchternen Jungen. Sie haben gehört, dass Familie Sado abgeschoben werden soll. Jussufs Eltern kamen einst aus dem Libanon. Nur mit Hilfe gekaufter türkischer Pässe konnten sie nach Deutschland fliehen. Die werden ihnen nun zum Verhängnis: Nachdem sie elf Jahre als Libanesen in Bremen gelebt haben, fllog die Doppelidentität auf – für die Behörden sind sie „falsche Libanesen“. Die Konsequenz: Ausweisung. Bis zum vergangenen Sonntag hätten sie „freiwillig“ in die Türkei ausreisen sollen: Vater, Mutter und acht Kinder. Jetzt droht die Abschiebung.

Für Jussufs MitschülerInnen eine gruselige Vorstellung: Die ganze Klasse hat Innensenator Bernt Schulte (CDU) gestern Protestbriefe gebracht. Darin heißt es: „Die Kinder von der Schule an der Admiralstraße finden es gemein, dass Jussuf Sado aus Deutschland gehen muss, richtig herzlos.“ Oder: „Er kennt keine Kinder in der Türkei.“ Eike, Marcel, David, Rick und Raphael geben zu bedenken: „Jussuf Sado ist in Deutschland geboren. Er lebt hier so lange, dass er sich an die Kälte und an die Wärme gewöhnt hat. Er kann die deutsche Sprache jetzt so gut, dann muss er ja wohl kein türkisch mehr lernen.“ Björn und Gazar finden: „Sie dürfen Jussuf nicht abschieben, weil er dort keine Verwandten hat und kein türkisches Geld.“ Rabun und Bekim fragen: „Soll er dann auf der Straße leben, oder was? Er ist ja dann auch ganz einsam.“

„Natürlich haben wir im Unterricht über Josephs Lage gesprochen“, sagt Klassenlehrerin Ursula Wahlefeld, „aber das mit den Briefen war die Idee der Schüler.“ Sie hat sie dann nur einmal grob durchkorrigiert und den Termin beim Innensenator vereinbart. Der hört sich das Problem kurz an und sagt dann, er brauche die Unterlagen der Familie. Manche Kinder glauben, dass er dann helfen wird. Aber in die Kameras von „Buten un Binnen“ wird Schulte doch deutlich: „Ich kann hier keinen Präzedenzfall schaffen“, macht er seine Haltung klar, außerdem sei das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zuständig.

Jussuf und seine Eltern kriegen trotzdem noch ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin. Aber da sind die Fronten von Anfang an klar: „Natürlich prüfen wir jeden Einzelfall ganz genau“, sagt Marita Wessel-Niepel. Nicht prüfen will sie allerdings, ob die arabischsprechenden Sados in der Türkei irgendwelche Chancen haben. Und die Altfallregelung zöge die Behörde für die Gruppe der libanesischen Kurden auch nicht in Betracht.

Jussufs älterer Bruder Nuri hat noch eine andere Initiative ergriffen: Mit ein paar Bekannten hat er auf der Nacht der Jugend die Fraktionschef der Regierungsparteien angesprochen. Jens Böhrnsen (SPD) und Jens Eckhoff (CDU) haben sich darauf hin mit ihnen getroffen und sich ihre Lebensgeschichten angehört. Die Söhne libanesischer Flüchltinge sind inzwischen zum Teil selbst Väter. Die meisten haben die Schule abgeschlossen, einige haben Arbeit. Einer verlor seine Stelle, als die Abschiebeverfügung kam. „Wir waren von den Biographien so beeindruckt, dass eine Abschiebung nicht vertretbar erscheint“, sagt Böhrnsen. „Die jungen Leute sind ja Opfer, die haben sich ja nicht mit zehn Jahren bewusst einen Aufenthalt erschlichen.“ Deshalb haben die beiden Fraktionsschefs im Gespräch mit Innensenator Schulte erwirkt, dass er die Möglichtkeit eines humanitären Bleiberechts prüft. Eckhoff geht davon aus, dass diese Einzelfallprüfung später auf weitere Mitglieder der Gruppe ausgeweitet werden kann. Für Böhrnsen deutet sich an, dass dann die „großen Worte von den 500 ‚falschen Libanesen« im Lichte des Einzelfalls wie ein Seifenblase zerplatzen“.

Jan Kahlcke

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