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Kaum Urteile wegen Hasskriminalität gegen Queere

In Bremen haben zwei Jugendliche eine trans Person zusammengeschlagen. Eine von vielen queerfeindlichen Straftaten, die bundesweit zunehmen. Die Bundesländer gehen mit verschiedenen Maßnahmen dagegen vor

Leider immer noch aktuell: Nach Gewalt gegen eine trans Frau in Bremen rief das „Bite Back Bündnis“ 2022 zum Protest auf Foto: Karsten Klama/dpa

Von Eiken Bruhn

Am vergangenen Montagabend haben in Bremen zwei Jugendliche eine trans Person angegriffen. „Die Täter schlugen mehrfach auf die am Boden liegende Person ein und traten sie“, heißt es in einer Pressemitteilung der Polizei vom Mittwoch, und dass der Staatsschutz wegen des Verdachts auf eine politisch motivierte Tat ermittle. Der Vorfall reiht sich ein in die bundesweite Zunahme von Straftaten, die sich gegen queere Menschen richten – und damit wie andere Formen von Hasskriminalität gegen das Grundgesetz verstoßen.

In 21.773 Fällen ermittelte die Polizei bundesweit im Jahr 2024 wegen des Verdachts auf Hasskriminalität, das bedeutet einen Anstieg um 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders hoch war der Anstieg frauenfeindlicher Taten (plus 73 Prozent), gefolgt von Ausländerfeindlichkeit und Taten wegen „geschlechtsbezogener Diversität (jeweils plus 34 Prozent). Das ist eine 2022 neu eingeführte Kategorie, um transfeindliche Straftaten erfassen zu können. Diese landeten bis dahin gemeinsam mit Frauenfeindlichkeit und Hasstaten gegen Homosexuelle in einer Kategorie.

In Bremen wurden im vergangenen Jahr 26 Straftaten gegen Queere (zum Beispiel trans oder homosexuelle Personen) registriert, wie Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) im Juni bei der Vorstellung des Lageberichts zu politisch motivierter Kriminalität mitteilte. Das waren fünf mehr als im Vorjahr; in fünf Fällen handelte es sich zudem um körperliche Gewalttaten. Auch die Täterschaft wird erfasst. Allerdings wird der überwiegende Teil „sonstigen“ Tä­te­r:in­nen zugeordnet. Sieben Taten gehen laut Innensenator auf das Konto von „rechten“ Täter:innen, darunter ist keine Gewalttat.

Ungleich mehr queerfeindliche Straftaten wurden 2024 in Hamburg regis­triert: In 149 Fällen ermittelte die Polizei, darunter 38 Gewalttaten, wie Innensenator Andy Grote (SPD) im Mai eine Linken-Anfrage beantwortete. In der Auskunft fehlen Informationen über die Täter:innen, dafür werden die Taten detalliert aufgelistet. Neben körperlicher Gewalt finden sich Beleidigung, Bedrohung, Volksverhetzung, Belästigung und in einigen Fällen der Diebstahl oder das Beschädigen von Regenbogenflaggen. Hamburg hat knapp dreieinhalb Mal so viele Ein­woh­ne­r:in­nen wie Bremen. Es ist unklar, ob es in Hamburg mehr solcher Taten gibt, ob sie häufiger angezeigt oder von den Ermittlungsbehörden anders bewertet werden.

Laut Bundeskriminalamt ist von einem ausgeprägten Dunkelfeld auszugehen. Queere Menschen seien „einem besonders hohen Gewaltrisiko ausgesetzt“, insbesondere trans Personen. „Die meisten Straftaten werden mutmaßlich nicht angezeigt.“ Um mehr Menschen zur Anzeige einer queerfeindlichen Straftat zu motivieren, haben die Polizeien vieler Städte Ansprechpersonen für Queere benannt. In Bremen gibt es darüber hinaus seit Mai alle zwei Wochen eine „queersensible Anzeigenaufnahme in geschützten Räumen“.

Das Angebot werde gut angenommen, schreibt ein Sprecher der Bremer Polizei auf Nachfrage der taz. Etwa 20 bis 30 Gespräche und E-Mail-Korrespondenzen seien seit der Einführung geführt worden. „Dabei geht es nicht nur um konkrete Strafanzeigen – von denen wir bislang knapp eine Handvoll aufgenommen haben – sondern auch um allgemeine Sorgen, Ängste und Orientierungshilfen.“ Auch geflüchtete Personen hätten das Angebot genutzt. Besonders erfreulich sei, dass auch aus polizeikritischen Teilen der queeren Community positives Feedback komme.

In den Flächenländern gehen anteilig an der Bevölkerung sehr viel weniger entsprechende Anzeigen ein. Niedersachsen hat vier Mal so viele Ein­woh­ne­r:in­nen wie Hamburg und verzeichnete im vergangenen Jahr 209 queerfeindliche Straftaten – doppelt so viele wie 2022 – also nur 60 mehr als in Hamburg. Im Vergleich mit anderen Bundesländern sind dies allerdings viele, wie aus einer Auflistung des Verbands „LSVD plus –Verband Queere Vielfalt“ hervorgeht.

Zwar sei Niedersachsen mit seinen LSBTIQ*-Ansprechpersonen bei der Polizei vergleichsweise gut aufgestellt – gleichzeitig sei aber nicht gewährleistet, dass alle Einsatzkräfte für den Umgang mit queerfeindlicher Gewalt ausreichend sensibilisiert seien, sagt Nico Kerski, Geschäftsführer von Queeres Netzwerk Niedersachsen. „Viele queere Menschen haben in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit staatlichen Institutionen gemacht.“ Grundsätzlich sei die Sorge groß, nicht ernst genommen oder gar beschämt zu werden.

In Niedersachsen soll nach einem Beschluss des Landtags im November eine Fach- und Meldestelle Queerfeindlichkeit aufgebaut werden, angesiedelt bei Queeres Netzwerk Niedersachsen. Vorbild ist Nordrhein-Westfalen, das in diesem Jahr drei weitere Meldestellen gestartet hat: Für Antiziganismus, antimuslimischen Rassismus und für anti-Schwarzen, antiasiatischen und weitere Formen von Rassismus. Diese Meldestellen haben wie die bundesweit verbreiteten für Antisemitismus das Ziel, das Dunkelfeld von nicht-angezeigten Straftaten zu erhellen.

„Wir erleben, dass das Vertrauen in zivilgesellschaftliche Meldestrukturen oft höher ist als in staatliche Institutionen“, sagt Nico Kerski vom Queeren Netzwerk Niedersachsen. Parallel dazu sei es wichtig, Menschen zu unterstützen, die eine Straftat anzeigen wollen. Deshalb fordert er eine Verstetigung der finanziellen Förderung für Gewaltschutzprojekte. Bisher gibt es nur jährliche Projektmittel, zum Beispiel für die Koordination und Auswertung der Meldestelle, aber auch für Beratungsangebote sowie Sicherheitskonzepte für den Christopher Street Day (CSD.

„Je mehr queerfeindliche Gewalt wir erleben, desto dringender wird der Bedarf an stabilen Strukturen, die Unterstützung, Schutz und Beratung gewährleisten“, sagt Nico Kerski. Und dass er sich noch vor fünf Jahren nicht hätte vorstellen können, dass Rechte gegen den CSD demonstrieren, Teilnehmende einschüchtern, bedrohen, beleidigen und verletzen. 2022 starb ein damals 20-jähriger trans Mann, nachdem ihn ein anderer Mann bei der Parade in Münster niedergeschlagen hatte. „Früher war die CSD-Teilnahme eine friedliche Demonstration und Party für queere Menschenrechte“, sagt Nico Kerski. „Heute ist die Angst um die eigene körperliche Unversehrtheit erschreckenderweise ein reales Szenario geworden.“

In Bremen hat die Bürgerschaft 2021 auch die Beauftragung einer Studie beschlossen, die das Dunkelfeld queerfeindlicher Hasskriminalität erhellen soll. Diese gibt es bisher nicht. Aufschluss geben soll eine 2025 zum zweiten Mal unter Bremer Bür­ge­r:in­nen durchgeführte Sicherheitsbefragung, die laut Innenbehörde unter Wahrung der Anonymität auch die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität erhoben hat.

„Viele queere Menschen haben negative Erfahrungen mit staatlichen Institutionen“

Nico Kerski, Queeres Netzwerk Niedersachsen

Das ist kein Vergleich mit dem umfassenden Monitoring, das die Stadt Berlin in Auftrag gegeben hat. Der im Dezember veröffentlichte dritte Bericht enthält auch Erkenntnisse über die Täter: 2023 waren die Tatverdächtigen queerfeindlicher Straftaten mit 87,3 Prozent „fast ausnahmslos männlich“, heißt es darin. Bei Gewaltdelikten lag ihr Anteil bei 92,4 Prozent. Am stärksten vertreten sei die Altersgruppe 30 bis 39, die familiäre Migrationsgeschichte werde nicht erfasst.

Der Berliner Bericht enthält auch Informationen dazu, wie es mit den Strafanzeigen weiterging. 40,7 Prozent der bei der Staatsanwaltschaft eröffneten Verfahren mit bekannten Tä­te­r:in­nen wurden eingestellt, in 14,1 Prozent kam es zu einer Anklage. Zur Verurteilungsquote gibt es laut LSVDplus bundesweit keine Daten.

In Berlin gibt es nach eigener Darstellung die europaweit einzige Staatsanwaltschaft mit einer „Sonderzuständigkeit für die spezialisierte, konzen­trierte und opferorientierte Verfolgung homophober und transphober Hasskriminalität“. In Hamburg und Bremen sind die Strafverfolgungsbehörden zuständig für die Verfolgung allgemeiner Hasskriminalität.

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