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Kaum Hilfe für Traumatisierte

Ein neuer Bericht macht dem Staat schwere Vorwürfe: Geflüchtete erhalten so gut wie nie psychosoziale Betreuung. Den zivilgesellschaftlichen Initiativen, die Hilfe bringen, kürzen Union und SPD nun das Geld

Von Frederik Eikmanns

Geflüchtete, die Folter und andere Gewalt überlebt haben, bekommen nur sehr selten die Hilfe, die sich brauchen. In gerade einmal 3,3 Prozent der Fälle erhielten Betroffene im Jahr 2023 eine angemessene Therapie, wie ein neuer Bericht der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) zeigt. Geschäftsleiter Lukas Welz spricht von einem „eklatanten Bruch internationaler Verpflichtungen“.

Studien zeigen, dass etwa ein Drittel der Geflüchteten psychische Probleme wegen Traumata haben, die sie auf der Flucht erlitten haben. Das können posttraumatische Belastungsstörungen oder auch Depressionen sein. Anspruch auf Behandlung haben Geflüchtete in Deutschland aber nicht, sie bekommen erst nach drei Jahren regulären Zugang zum Gesundheitssystem. Davor werden nur akute Krankheiten und Schmerzzustände behandelt. Psychische Krankheiten bleiben fast immer unberücksichtigt. Die zivilgesellschaftlichen Psychosozialen Zentren versuchen, diese Versorgungslücke zu schließen und setzen dabei auf eine Mischung aus Psychotherapie, sozialer Arbeit und Rechtsberatung.

Der BAfF-Bericht nennt als einen der Hauptgründe für die Unterversorgung, dass die Psychosozialen Zentren nicht ausreichend vom Staat finanziert werden. Tatsächlich sollen sie im laufenden Jahr nur rund 7 Millionen Euro bekommen, wie aus dem jüngst vom Kabinett beschlossenen Haushaltsentwurf hervorgeht. Ursprünglich waren zumindest 11 Millionen Euro versprochen. 2023 hat der Bund noch 17 Millionen Euro bereitgestellt. Zum Vergleich: Die Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen kosten pro Jahr rund 100 Millionen Euro. Geschäftsführer Welz sagte der taz: „Das ist ein massiver Vertrauensbruch“, und er fordert: „Der Bundestag muss das korrigieren.“

Schwierig ist die psychologische Versorgung von Geflüchteten auch, weil die Betroffenen teils immer wieder umverteilt oder gar abgeschoben werden. Gleichzeitig begünstigen Arbeitsverbote, andauernde Unsicherheit während des Asylverfahrens und das zermürbende Leben in Sammelunterkünften die Entwicklung psychischer Krankheiten.

Öffentlich verhandelt wurde das Thema zuletzt nach einem Messerangriff in Aschaffenburg Anfang des Jahres. Dabei wurden ein Kind und ein Mann erstochen, mutmaßlich von einem Geflüchteten aus Afghanistan. Er befand sich mehrmals in psychiatrischer Behandlung und litt offenbar an paranoider Schizophrenie. 2021 hatte es einen ähnlichen Fall in Würzburg gegeben, der Täter gilt wegen seiner psychischen Krankheit als schuldunfähig.

Ex­per­t*in­nen betonen, dass nur ein sehr kleiner Teil der Geflüchteten derartige psychische Erkrankungen hat. Und auch diejenigen, die betroffen sind, werden fast nie gewalttätig, sondern werden überdurchschnittlich häufig selbst zu Gewaltopfern.

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