Katholische Aufarbeitung von Missbrauch: Herde kämpft für ihren Hirten

In Wolfenbüttel soll Pfarrer Matthias Eggers sein Amt verlieren – er hat die Aufarbeitungspolitik des Bistums kritisiert. Die Gemeinde ist in Aufruhr.

Blick aus dem Altarraum in die überfüllte Kirche, links im Bild steht Pfarrer Eggers, der auf seine Gemeinde guckt.

Überfüllt wie sonst nur an Weihnachten: die Wolfenbütteler möchten ihren Pfarrer behalten Foto: Simon Benne

HANNOVER taz | So viel Aufruhr hat es in der St. Petruskirche in Wolfenbüttel wahrscheinlich schon lange nicht mehr gegeben: Am vergangenen Sonntag war sie voller als an Weihnachten, nicht einmal die herbeigeschleppten Bierbänke reichten, draußen wurden Unterschriften gesammelt, die Ministranten entrollten ein Transparent, auf dem stand: „Wenn Matthias geht, dann gehen wir auch.“

So schildern es jedenfalls verschiedene Medien und Beteiligte. Der – augenscheinlich sehr beliebte – Pfarrer Matthias Eggers hatte zuvor ein aufsehenerregendes Interview gegeben. In der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung vom 18. Mai kritisierte er auf einer Doppelseite den mangelnden Aufklärungswillen seiner katholischen Kirche bei sexuellen Missbrauchsfällen. Von „Fassadenkatholizismus“ und „Doppelmoral“ ist die Rede.

Fünf Tage später musste er beim Bischof zum Rapport antreten. Das Personalgespräch war schon länger anberaumt, es sollte um interne Konflikte und seine künftige Verwendung gehen. Am Ende ging es aber nur noch um seine öffentlichen Äußerungen.

Bischof Heiner Wilmer bat ihn, sein Amt freiwillig niederzulegen. 15 Tage Bedenkzeit wurden ihm eingeräumt. Soweit decken sich die Darstellungen von Bistum und Eggers. Auseinander gehen sie dort, wo es darum geht, ob ihm bei dieser Gelegenheit auch ein Rauswurf angedroht wurde.

Nicht nur Gemeindemitglieder sind empört

Seit Sonntag häufen sich die Solidaritätsbekundungen kreuz und quer durchs politische und religiöse Spektrum: Vom Betroffenenrat Nord, dem parteilosen Bürgermeister Wolfenbüttels, Ivica Lukanic, der SPD-Landrätin Christiana Steinbrügge, der CDU im Landkreis und der Stadt, dem evangelischen Probst Dieter Schultz-Seitz und der türkisch-muslimischen Gemeinde.

Das ist bemerkenswert, weil das Bistum Hildesheim eigentlich als ziemlich fortgeschritten bei der Missbrauchsaufklärung gilt. Als Bischof Heiner Wilmer 2018 sein Amt antrat, gelobte er „jeden Stein umzudrehen“ und machte sich mit diesem Ehrgeiz bei vielen Bischofskollegen unbeliebt.

„Kein Bischof hat je so klare Worte gefunden“, lobt auch Pastor Eggers, bis heute. Dadurch seien tatsächlich viele Dinge in Bewegung geraten. Aber letztlich seien die Beharrungskräfte eben auch sehr stark.

„Es gibt überall viele schöne Worte, aber immer nur so viele Taten, bis die Öffentlichkeit das Interesse verliert“, kritisiert Eggers in dem HAZ-Interview. Das gelte letztlich auch für das Bistum Hildesheim. Dort wiederum findet man die Kritik unfair und zu pauschal.

Immerhin ist gerade die dritte große Studie in Auftrag gegeben worden, die Stabsstelle für Prävention, Intervention und Aufklärung sei seit 2012 mehrfach aufgestockt worden, argumentiert der Sprecher des Bistums, Volker Bauerfeld.

Den Betroffenen läuft die Zeit davon

Doch Matthias Eggers geht die Geduld aus. Und wenn man seinen Blog „Licht ins Dunkel bringen“ genau liest, ahnt man warum. Er beschreibt, wie er in der Kirche groß geworden ist, die ersten Jahre als Pfarrer ohne jede Ahnung von dieser „dunklen Parallelwelt“.

Bis er irgendwann den ersten Betroffenen sprach und sich immer mehr enthüllte, dass diese Dinge nicht irgendwo, sondern direkt in seinem Umfeld passiert waren. Eggers, der sich in dem Blog auch als „Amtsträger einer Täterorganisation“ bezeichnet, hat sich rigoros auf die Seite der Opfer geschlagen.

Er ist emotional, fühlt sich zerrissen, schießt vielleicht deshalb manchmal übers Ziel hinaus: Etwa wenn er dem Weihbischof den Zutritt zur Firmung verweigert, weil dieser seiner Meinung nach seiner Verantwortung nicht gerecht geworden ist.

Aber Eggers weiß auch, dass vielen Betroffenen die Zeit davonläuft. Im Interview schildert er den Fall eines Mannes, der zu seiner Pfarrei gehörte. Er war im Bernwardshof, einem Kinderheim, missbraucht worden, die Anerkennungszahlung enttäuschend niedrig ausgefallen, die Berufsunfähigkeitsrente reichte kaum, die Gemeinde unterstütze ihn.

Sein Wissen zur Aufarbeitung hätte er gern noch zur Verfügung gestellt, doch er starb bevor nun die aktuelle Studie in Auftrag gegeben wurde, obwohl die Vorwürfe gegen die Einrichtung eigentlich schon seit 2012 bekannt sind. Das ist einer der Gründe, warum Eggers fordert, die Aufklärung schneller und energischer voranzutreiben, sie stärker in den Gemeinden vor Ort zu verankern.

Im Bistum findet man aber immer noch, man sei auf einem guten Weg – auch wenn der natürlich noch lang sei. „Wir nehmen dieses Thema sehr ernst, aber es ist eben auch ein langer und komplexer Prozess“, sagt der Sprecher. In der Personalsache will man erst einmal abwarten. Es sei ja nun an Eggers, eine Entscheidung zu treffen, heißt es. Und es wäre gut, wenn er etwas zur Deeskalation beitragen würde.

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