Katholikentag in Erfurt: Lahmes katholisches Woodstock
Der Katholikentag geht ohne große Überraschungen über die Bühne. Schade, denn in der Vergangenheit sorgte der Konvent auch mal für Furore.
T rotz mehrfacher Warnung blieb das große Unwetter in Erfurt an diesem Wochenende vorerst aus. Ähnliches lässt sich über den 103. Katholikentag in der thüringischen Landeshauptstadt sagen. Von Mittwoch bis Sonntag war sie mit vielen Menschen bevölkert, die violette Schals trugen und sich von den zahlreichen Regengüssen nicht irritieren ließen.
Unter dem Motto „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ wurde Gottesdienst gefeiert, über politische Themen wie die Klimakatastrophe gestritten oder mal ein Rosenkranz gebastelt. Kurzum: Der Erfurter Katholikentag war ein stimmungsvolles Fest ohne größeren Eklat. Ob der Erfurter Katholikentag jedoch deshalb in besonderer Erinnerung bleiben wird, ist ungewiss.
Denn: Obwohl der Erfurter Katholikentag im Gegensatz zu seinem Stuttgarter Vorgänger von 2022 kleiner ausgelegt war, unterschied er sich nicht wesentlich von vergangenen Katholikentagen. Die Verantwortlichen haben noch keine Form gefunden, die den Bedingungen einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft Rechnung trägt.
Die meisten (wohl kirchenfernen) Passant*innen gingen am Domplatz, dem wichtigsten Veranstaltungsort in der Erfurter Altstadt, ihren Geschäften nach oder nahmen im besten Fall freundlich Notiz. So wirkt der Katholikentag häufig wie ein Klassentreffen langjähriger Besucher*innen, offiziellen Kirchenvertreter*innen, kirchlichen Initiativen und Jugendgruppen – man kennt sich. Das hat auch seinen Reiz, kann aber schnell in Isolation enden.
Die Journalistin Christiane Florin erinnerte auf einem Podium zur Diskussion um den Paragraf 218 an den Essener Katholikentag von 1968. Er war eine Art katholisches Woodstock, auf dem eine katholische Außerparlamentarische Opposition mit Parolen wie „Sich beugen und zeugen“ gegen das Verbot künstlicher Empfängnisverhütung protestierte und sogar den freiwilligen Rücktritt des damaligen Papstes Paul VI. forderte.
Soweit müsste es heute gar nicht kommen, aber ein Quäntchen anarchische Freude, die den status quo infrage stellt, könnte dem Katholikentag nicht schaden. Am späten Samstagabend kommt das Unwetter dann doch hereingebrochen – vom Himmel her. Der Katholikentag selbst bleibt zahm.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
BSW scheitert, Schwarz-Rot hat eine Mehrheit
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Wahlsieg der Union
Kann Merz auch Antifa?
Bundestagswahl 2025
Mehr gewollt und links verloren