Karneval der Kulturen: Mit fremden Federn
Berlin feiert sich mit Umzug und Straßenfest als weltoffene Stadt. Auch der Senat schmückt sich mit diesem Image. Die ProtagonistInnen jedoch lässt er im Regen stehen.
Man muss Massenveranstaltungen nicht mögen. Schließlich sind sie immer ein bisschen peinlich, eben weil sie die Massen anziehen und die meistens auf Mist stehen. Da will man gar nicht dazugehören. Oder?
Bei Berlins größtem Straßenfest, dem Karneval der Kulturen, geht es genau darum: ums Dazugehören. BerlinerInnen – viele, aber längst nicht alle mit Einwanderungshintergrund – gibt das jährliche Fest Gelegenheit, ihre Kunst und Kultur, ihre Stand- und Kritikpunkte öffentlich vorzustellen. So sollen in der „Integrationswerkstatt“ Berlin „Vielfalt, gegenseitiger Respekt und Toleranz erlebbar und erfahrbar“ werden, schreiben die VeranstalterInnen auf ihrer Website: Denn nur so könne Integration gelingen.
Ja, der Karneval ist längst Massenveranstaltung, Mainstream. Seit Jahren hat die Zahl der Besucher des Fests die Millionengrenze überschritten. Aber wenn es das ist, was die Leute auf die Straße bringt – Respekt, Toleranz – dann können’s doch gar nicht genug sein! Andernorts ziehen schlichtere Beweggründe die Massen an; etwa alte Biervorräte wegzutrinken. Okay, auch beim Karneval wird längst ordentlich gebechert. Und nicht jeder kommt wegen der tollen Botschaft. Mancher guckt sich einfach gerne Frauen oder Männer in knappen Glitzerbikinis oder HulatänzerInnen mit bunten Blumen- und Baströckchen an.
Wer mag, kann das abwertend „Migrantenstadl“ nennen – eine entwürdigende „Völkerschau“ im Stile der Menschenzoos aus Kolonialzeiten ist das Spektakel deshalb noch lange nicht. Denn es sind die TeilnehmerInnen selbst, die entscheiden, ob und wie sie bei dem Fest mitwirken und sich präsentieren möchten.
Auch wenn es in der Vergangenheit Gruppen gab, die wirkten wie vom Tourismusamt eines Urlaubslandes gesponsert, was sogar der Fall gewesen sein mag: Die VeranstalterInnen des Karnevals haben klug zu verhindern gewusst, dass solche TeilnehmerInnen diejenigen Gruppen an den Rand drängen, die bei dem Karnevalsumzug ihr Leben in Berlin zum Thema machen.
Es ist so: Berlin kann sich wohl kaum eine bessere Massenveranstaltung wünschen, um sich der Welt in einem positiven Licht zu präsentieren. Der Karneval trägt ein gut Teil zum Image der bunten und offenen Weltstadt bei, von dem die deutsche Hauptstadt derzeit profitiert. Und ganz offensichtlich – siehe Zuschauer- und Teilnehmerzahlen – erscheint er auch vielen BürgerInnen wichtig.
Umso erstaunlicher ist deshalb das Argument, mit dem der Senat nun die Forderung der Veranstalter und TeilnehmerInnen nach mehr Zuschüssen zurückweist: Der Karneval sei eine „private Veranstaltung“. Übersetzt heißt das: Dazugehören wollen ist ja ganz prima – aber es ist schon jedermanns Privatsache, wie er das schafft.
Das ist neu: Denn gesellschaftliche Teilhabe zu fördern hatte diese Stadt einst zum Grundsatz ihrer Integrationspolitik erklärt – und hatte sogar ein eigenes Gesetz geschaffen, um das zu erleichtern. Wenn der Senat das nun anders sieht, ist das Image der modernen „Integrationswerkstatt“, das Berlin dem Karneval verdankt, nicht mehr das, mit dem die Stadt sich brüsten darf.
Mehr zum Thema finden Sie im Berlin-Teil der taz.amWochenende - im Abo oder an Ihrem Kiosk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren