Nicht auf Kosten der Kinder

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz wird Deutschland nachhaltig verändern

Niemand hat nun noch Argumente gegen die Verschärfung der Klima­ziele, eine Verlängerung der Maßnahmen über 2030 hinaus

Von Bernhard Pötter

Angela Merkel sagte am 20. September 2019, als sie das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung vorstellte: „Politik ist das, was möglich ist.“ Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sie korrigiert: Politik muss sein, was nötig ist. In dieser Formel lässt sich der „epochale“ Beschluss der obersten Richter zusammenfassen. Es ist eine Entscheidung, die Deutschland nachhaltig verändern wird.

Denn nicht nur wird die Regierung vom Verfassungsgericht ordentlich abgewatscht. Hier ist das Gericht, das sich in der Vergangenheit geweigert hat, grundlegende Klimafragen zu entscheiden, über seinen Schatten gesprungen. Es hat nicht wie bisher der Politik einen möglichst großen Spielraum eingeräumt, um sich nur zu melden, wenn Regierung und Parlament untätig bleiben.

Nein, Karlsruhe hat sich richtig engagiert: Das Gericht hat die Anforderungen des Klimaschutzgesetzes im Detail kritisiert, den umstrittenen „Budgetansatz“ für die Berechnung der CO2-Emissionen zum Maßstab geadelt und der aktuell herrschenden Generation verboten, sich weiter auf Kosten ihrer Kinder und Enkel zu amüsieren. Vor allem aber haben Deutschlands oberste RichterInnen die Klimakrise als eine Frage der Freiheit definiert: Jede Tonne CO2, die wir heute ausstoßen, schränkt den „CO2-relevanten Freiheitsgebrauch“ der künftigen Generationen ein. Von diesem Konzept werden wir noch viel hören.

Das ist ein großer Erfolg für die Klimabewegung, die sich seit Jahren auch auf den juristischen Weg begeben hat. Es zeigt, wie viel Wirkung eine Allianz aus Ökoverbänden, Fridays for Future, Initiativen und engagierten JuristInnen haben kann, die den langen Marsch durch die Gerichtssäle antreten. Es zeigt auch, wie gut sich das oberste deutsche Gericht in einer aktuellen Grundsatzfrage positionieren kann. Vielleicht debattieren ja auch die Richter in Roten Roben mit ihren Kindern am Frühstückstisch über das Schuleschwänzen am Freitag.

Für die Politik ist die Entscheidung Gegenwind und Rückenwind zugleich. Natürlich ist es nicht angenehm, sich als amtierende MinisterIn vorwerfen zu lassen, man habe Pfusch am Bau abgeliefert. Aber insgesamt stärkt der Beschluss der Politik den Rücken: Denn niemand hat nun noch Argumente gegen eine Verschärfung der Klimaziele, eine Verlängerung der Maßnahmen über 2030 hinaus, ein konsequentes Schrauben am CO2-Preis, am Emissionshandel, an einem früheren Kohleausstieg, gegen ein Verbot von Verbrennungsmotoren und andere Maßnahmen. Wer sich davor fürchtete, zu viel Klimaschutz zu machen, konnte sich bisher hinter der EU verstecken, deren höhere Ziele umzusetzen sind. Jetzt hat er auch noch das Bundesverfassungsgericht im Nacken und im Rücken, wenn er mehr fordert.

Das aber muss der entscheidende Spieler in dieser Frage eben auch wollen. Und der heißt Armin Laschet. Der ramponierte CDU-Spitzenkandidat hat sich bisher beim Thema Klimapolitik tatsächlich wie „Helmut Kohl 2.0“ verhalten: Bloß nicht zu viel Klimaschutz, Umweltpolitik kostet Geld und Jobs, das war sein Mantra, vielleicht auch, um sich von CSU-Chef Markus Söder abzusetzen.Der Spruch aus Karlsruhe bindet jede Regierung, die Armin Laschet führen will. Den Grünen als möglichen Regierungspartnern wird er nützen, aber nicht allzu sehr. Denn er bestätigt nur, was sie als bislang einzige Partei mit dem Klimaschutz-Gen ohnehin tagein, tagaus sagen. Aber die Union könnte dieser Donnerschlag aus Karlsruhe aufwecken. Welcher Kanzler will sich schon höchstrichterlich vorwerfen lassen, den „nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast zu überlassen“ und deren Leben „umfassenden Freiheitseinbußen auszusetzen“? Die Erzählung von „Freiheit“ ist nirgends so wirkmächtig wie im konservativen und liberalen Lager. Wenn die CDU/CSU klug und machtorientiert genug ist, definiert sie nun einen alten Slogan in Zukunft ganz neu. Vielleicht so: Freiheit statt Fossilismus!