Karlsruhe unterstützt Flüchtlingsrat: Recht auf Polemik
Der Flüchtlingsrat darf der Stadt Brandenburg strukturellen Rassismus vorwerfen. Das Bundesverfassungsgericht stärkt damit die Meinungsfreiheit.
KARLSRUHE taz | Das Grundgesetz schützt auch übertriebene und ausfällige Kritik vor Sanktionen. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht und beanstandete ein Gerichtsurteil gegen den Flüchtlingsrat Brandenburg. Das Recht, staatliche Maßnahmen „ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können“, gehöre zum Kernbereich der Meinungsfreiheit.
Auslöser des Rechtsstreits war der Fall eines gehörlosen Mannes aus Sierra Leone, der 1999 nach Deutschland kam. Sein Asylantrag hatte zwar keinen Erfolg, er erhielt aber eine Duldung. Später beantragte er eine reguläre Aufenthaltserlaubnis, die aber von der Ausländerbehörde in Brandenburg/Havel abgelehnt wurde. Im folgenden Gerichtsverfahren behauptete die Behörde, der Mann spiele seine Taubheit nur vor und könne in Wirklichkeit doch hören.
Daraufhin verlieh der Flüchtlingsrat im Jahr 2010 der Stadt Brandenburg und der zuständigen Sachbearbeiterin einen Negativ-Preis für strukturellen Rassismus, „Denkzettel“ genannt. Die Taubheit des Mannes sei durch mehrere Gutachten belegt.
Keine „Schmähkritik“
Das Amtsgericht Potsdam verurteilte nun aber zwei Mitarbeiter des Flüchtlingsrats wegen „übler Nachrede“ zu einer Geldstrafe. Die Akte des Flüchtlings habe der Sachbearbeiterin nicht vollständig vorgelegen. Es sei daher eine Ehrverletzung, wenn der Frau unterstellt werde, sie habe absichtlich falsche Argumente vorgebracht. Das Landgericht Potsdam bestätigte die Verurteilung.
Das Bundesverfassungsgericht hob die beiden Potsdamer Urteile nun auf und forderte eine Neuverhandlung des Falles. Die Brandenburger Richter hätten die Preisverleihung des Flüchtlingsrats zu Unrecht als Tatsachenbehauptung eingestuft, in der Gesamtschau sei es vielmehr um ein Werturteil gegangen.
Dabei sei auch die Grenze zur strafbaren "Schmähkritik" nicht überschritten worden. Im Kern sei es um eine Auseinandersetzung in der Sache gegangen und nicht um die Diffamierung der Person. Die Meinungsfreiheit beschränke sich nicht auf "das zur Kritik Erforderliche", so die Verfassungsrichter, sondern umfasse auch "ein Recht auf polemische Zuspitzung". (Az.: 1 BvR 444/13)
Leser*innenkommentare
Emil
Gast
Die politische Justiz ist jetzt ganz oben angekommen. Denn wäre es nicht der Flüchtligsrat sondern eine Pro Partei gewesen, wäre die Entscheidung wohl ganz anders ausgefallen.
Dhimitry
Meinem Empfinden nach wird der Rassismusbegriff zur Zeit inflationär gebraucht. Heute ist Jede/r Rassist.
Dadurch verliert der Begriff seine Trennschärfe und wird wertlos.
Dhimitry
So weit ich weiß ist Herr Sarrazin für seinen in ein wissenschaftliches Mäntelchen gehüllten Unsinn nicht verurteilt worden.
Jeder hat das Recht Unsinn zu verbreiten. Daraus leitet sich allerdings nicht das Recht ab, auch ernst genommen zu werden.
Keine von Sarrazins Meinungen hält einer serösen wissenschaftlichen Prüfung stand.
YellowMan
Gast
Der Begriff des Rassismus wird in letzter Zeit so häufig verwendet, dass er seine Bedeutung komplett eingebüßt hat. Ich empfinde es inzwischen bei einigen Tätigkeiten als Auszeichnung als Rassist tituliert zu werden. Dann weiß ich, dass ich eigentlich viel weiter bin, als derjenige, der mich beschimpfen will. Wenn ich das Handeln eines Menschen als Maßstab nehme und mir Hautfarbe oder Herkunft egal ist, dann darf man mich gerne als Rassisten bezeichnen.
Ickerbocker
Gast
Was hat es denn mit Demokratie zu tun, Menschen einfach ohne sachliche Grundlage beleidigen zu dürfen? Karlsruhe stärkt nichz die Meinungsfreiheit sondern die sich breit machende Respektlosigkeit der Menschen untereinander.
Claudia Cometh
Auch wieder schön: Hier gilt die Meinungsfreiheit natürlich wieder; Herrn Sarrazin wird sie abgesprochen, obwohl er weder "übertriebene" noch "ausfällige" Kritik geäußert hat, sondern schlicht die Dinge genannt hat, wie sie sind...
vic
Sarrazin hat also nicht übertrieben. Soso.
So sieht das ein Fan wie sie.
Das muss man doch noch sagen dürfen, was?
Claudia Cometh
Klar, jetzt bin ich also "Fan", so so.
Das muss man doch noch sagen dürfen, wa?
Also, ehrlich, lasst euch mal was neues einfallen.
Wie wäre es mit: Für Mindestlohn, Solidarität und soziale Gerechtigkeit.
ingrid werner
wie gut dass wir das Verfassungsgericht haben, aber vllcht sollten wir uns langsam mal gedanken darüber machen auch den rest unserer Gerichtsbarkeit mit urteilsfähigen Menschen zu besetzen, so dass wir nicht immer erst das verfassungsfericht brauchen. Was, wenn die Richterbank dort erst einmal nicht mehr mit solch fähigen Leuten besetzt ist?
frizzz
Gast
Super---schön langsam müssen auch Ossis Grundsätze der neuen Staatsform "Demokratie" lernen.
zensiert
Gast
du machst hier gleich das nächste fass der diffamierung auf - welches du vorher erst bekämpft - immer schön alle "ossis" in einen topf werfen und gemeinsam abstempeln...
denk mal nach!
Johnny
Gast
"Es ist eindeutig, Herr Xyz hat am morgen des 27.12.2009 seine Frau M. Xyz erdrosselt!" ... aber nein, ich meinte das natürlich nicht wörtlich, das war ein Werturteil, so quasi.