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Karim Khan wird Chefankläger in Den HaagNeuer Kopf am Weltgericht

Einst verteidigte er Angeklagte in der internationalen Justiz. Jetzt wird Karim Khan Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof.

Wechselt den Posten: Karim Khan wird neuer Chefankläger Foto: Michael Kooren/reuters

Berlin taz | Karim Khan weiß, wie man einem Gericht die Show stiehlt. Nicht die Anklage, sondern Pflichtverteidiger Khan hatte seinen großen Auftritt, als am 4. Juni 2007 einer der spektakulärsten Strafprozesse der Neuzeit begann. Vor Gericht stand Charles Taylor, ehemaliger Präsident von Liberia, angeklagt wegen Unterstützung von blutrünstigen Rebellen im benachbarten Sierra Leone. Für das internationale Sierra Leone-Sondertribunal war das Verfahren gegen Exwarlord Taylor das „Juwel in der Krone“, wie es ein Beteiligter später ausdrückte. Aber der Auftakt war ein Fiasko: Taylor erschien nicht, und statt dass Chefankläger Stephen Rapp die Anklage verlesen durfte, verlas Pflichtverteidiger Karim Khan einen Brief seines Mandanten, wonach dieser nicht vorhabe, jemals zur Verhandlung zu erscheinen.

Die Richter forderten Tempo, die Übersetzer Langsamkeit; Khan sagte, Taylor habe ihn entpflichtet, und wollte gehen; das Gericht lehnte das ab und sagte ihm, er möge sich setzen; als die Anklageverlesung begann, stand Khan auf und verließ den Saal. Nicht die Anklage gegen Taylor machte am nächsten Tag Schlagzeilen, sondern Khans Abgang.

In jenem Saal eins des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, in dem 2007 der Taylor-Prozess geführt wurde, wird Karim Khan demnächst selbst Anklagen verlesen. Die Mitgliedstaaten des IStGH wählten den Briten mit pakistanisch-muslimischem Migrationshintergrund am späten Freitagabend mehrheitlich zum neuen Chefankläger des Weltgerichts. Mit 72 von 123 Stimmen setzte er sich gegen Kandidaten aus Irland, Frankreich und Italien durch. Im Juni wird er die Nachfolge der Gambierin Fatou Bensouda antreten.

Khan wird der dritte Chefankläger des IStGH, nach Bensouda und ihrem Vorgänger Luis Moreno Ocampo, und er könnte sich als der bislang effektivste erweisen – ausgerechnet in einer Zeit, wo internationale Justiz und das Völkerstrafrecht sowohl von der Idee her als auch in der Praxis immer stärker unter Beschuss stehen.

Das Prinzip, schwerste Menschheitsverbrechen nach universellen Regeln weltweit zu verfolgen, hat sich nicht durchgesetzt. Bis heute hat der IStGH ausschließlich Fälle verhandelt, die im Interesse der jeweiligen Regierungen liegen, obwohl er eigentlich für Fälle zuständig ist, die Regierungen nicht selbst verfolgen können oder wollen – und er hat noch keinen politischen Verantwortlichen rechtskräftig verurteilt, sondern nur Rebellen und einige ihrer Chefs.

Schlecht vorbereitet

Gerade Fatou Bensouda hat eine Reihe hochkarätiger Fälle in den Sand gesetzt. Laurent Gbagbo, ehemaliger Präsident der Elfenbeinküste, wurde erst­instanzlich freigesprochen. Jean-Pierre Bemba, ehemaliger Vizepräsident der Demokratischen Republik Kongo, kam in der Berufung frei. In beiden Fällen wurde schlechte Arbeit der Anklagebehörde verantwortlich gemacht, ebenso beim Zusammenbruch der Anklagen gegen Kenias Präsident Uhuru Kenyatta und seinen Vize William Ruto.

Der profilierteste Verteidigerin Den Haag wird zum neuen Chefankläger

Rutos Verteidiger – es ging um politische Gewalt mit über 1.300 Toten in Kenia nach den Wahlen Ende 2007 – war Karim Khan. Er kam nach drei Jahren Verhandlung durch mit dem unüblichen Antrag, den Fall wegen offenkundiger Aussichtslosigkeit der Anklage ohne Urteil zu den Akten zu legen, sehr zur Verärgerung Fatou Bensoudas.

Ausgerechnet Kenia sorgte nun dafür, dass Karim Khan in die engere Wahl für die Nachfolge Bensoudas kam. Der wohl profilierteste Verteidiger in Den Haag und Präsident der Juristenvereinigung des Strafgerichtshofs wird zum Chefankläger. Wird also der Bock zum Gärtner? Dieser Vorwurf geht in die Irre. Khan macht nicht den Eindruck eines gewissenlosen Wortklaubers, der wider besseres Wissen Verbrecher raushaut. Er bestreitet auch nicht, wie so manche seiner Kollegen, die Legitimität des Völkerstrafrechts insgesamt. Mit seiner leisen, verbindlichen Stimme tritt er als praktisch denkender Weiterentwickler einer den eigenen Ansprüchen bislang nicht gerecht werdenden internationalen Justiz auf.

Der Beginnn einer internationalen Karriere

Der in London ausgebildete Jurist, seit 1992 tätig, begann seine internationale Karriere als Berater der Anklagebehörde der UN-Völkermordtribunale für Ruanda und Ex-Jugoslawien. Eines seiner letzten großen Mandate war 2017 die Verteidigung eines in Kamerun vor einem Militärgericht angeklagten Menschenrechtsanwalts. Seit 2018 leitet Khan in Bagdad die UN-Ermittlungsbehörde Unitad für Verbrechen des „Islamischen Staates“ (IS) im Irak.

In seinem letzten Rechenschaftsbericht von November 2020 hebt er die Sorgfalt der Untersuchungen hervor: das Gewinnen und Dokumentieren von Aussagen, den Umgang mit Trauma und Schock, die psychosoziale Begleitung der Öffnung von Massengräbern. Es geht ihm offenkundig um neue, höhere Standards in der Anklagevorbereitung.

Bereits 2014 hatte Khan in einem Aufsatz über Verteidigerarbeit am IStGH auf Konstruktionsprobleme des Strafgerichtshofs hingewiesen: das Weltgericht sei zumindest anfangs eher ein „Thinktank“ gewesen, „losgelöst von den Realitäten der Ermittlungsarbeit und des Strafprozesses“, mit „unpraktischen und ineffizienten Verfahrensweisen“. Als Beispiele nannte er die Praxis, Verteidigern Beweismittel zu spät zur Verfügung zu stellen und durch Anonymisierung von Zeugenaussagen und Schwärzung wichtiger Details in den Akten deren Überprüfung unmöglich zu machen. All dies sind bekannte Probleme beim IStGH, über die in Prozessen gestritten wird.

Als Chefankläger des IStGH hat Karim Khan nun die Gelegenheit zu handeln. Im September 2020 hatte eine unabhängige Evaluierung der Arbeit des IStGH einen umfangreichen Abschlussbericht mit 384 Reformvorschlägen vorgelegt. Fatou Bensouda hatte diesen Bericht nur verhalten begrüßt und „weitere Konsultationen“ angemahnt. Von Karim Khan erwarten Beobachter, dass er sich tatkräftiger hinter Reformen stellt.

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3 Kommentare

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  • Dass ausgerechnet der Brite Karim Khan als neuer IStGH Ankläger Ermittlungen seiner Vorgängerin Fatou Bensouda gegen US Army wg Anfangsverdacht von Kriegsverbrechen in Afghanistan/Irak aussetzt, die 2010 durch Wikileak dokumentiert wurden, worauf die Niederlande militärischen Teil ihres ISAF Nato Afghanistaneinsatzes anders als Deutschland beendeten, während Wikileak Gründer Julian Assange seit Jahren in brit. Auslieferungshaft in die USA sitzt, ohne vom IStGH als Zeuge vom vernommen zu werden, ist nicht nur ein verheerendes Signal für Assange den IStGH selber sondern insgesamt für die öffentliche Wahrnehmung internationalen Strafrechts nach Weltgesetz bei militärischen Interventionen mit und ohne UNO Mandat, ungeachtet IStGH Anerkennung.

    USA, GUS, China, Saudi Arabien, Israel erkennen IStGH nicht an. Deutschland hat zwar Anerkennung IStGH durch Bundestag 2002 ratifiziert, aber nur unter Maßgabe, dass Bundeswehr-, BND, MAD, THW Angehörige bei Auslandseinsätzen von Strafverfolgung freigesellt sind, unter Immunität stehen.



    Weshalb Bundeswehr Oberst Georg Klein, trotz seines ISAF widrigen Befehls am Hindukusch, mitten im Bundestagswahlkampf 4. September 2009 zwei liegengebliebene Bundeswehr Tanklastzüge 15 Km vorm Bundewehr Hauptquartier Kundus/Afghanistan durch Einsatzbefehl eines US Kampfbombers zu zerstören, über Hundert tote Zivilisten, ungezählte Verletzte billigend in Kauf zu nehmen, selbst in Deutschland nach Anklage freigesprochen wurde, innerhalb Bundeswehr Community und darüber hinaus in rechtsradikal militant aufgeladener Szene in Deutschland, Europa als Held von Kundus und Idol gefeiert, zum Brigadegeneral befördert wurde.

    Dass US Präsident Joe Biden zwar Donald Trumps Sanktion gegen vormalige IStGH Chefanklägerin Fatou Bensouda 2019 suspendiert aber IStGH Entscheidung neuen Chefanklägers Khans gutheißt, Ermittlungen gegen US Army einzustellen, ohne gleichzeitig Auslieferungsersuchen gegen Assange zurückzunehmen, lässt nichts Gutes ahnen

  • ich warte noch immer darauf, dass George W. Bush vorgeladen wird

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Wer ist der nächste Angeklagte?



    Präsident Xi? Präsident Duterte, Bolsonaro, Rohani, die Vertreiber der Rohingya, M. bin Salman, Al Sisi, al Assad, Putin???



    Wenn da nicht die dicken Geschäfte im Weg stünden.