Karim Khan wird Chefankläger in Den Haag: Neuer Kopf am Weltgericht
Einst verteidigte er Angeklagte in der internationalen Justiz. Jetzt wird Karim Khan Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof.
Die Richter forderten Tempo, die Übersetzer Langsamkeit; Khan sagte, Taylor habe ihn entpflichtet, und wollte gehen; das Gericht lehnte das ab und sagte ihm, er möge sich setzen; als die Anklageverlesung begann, stand Khan auf und verließ den Saal. Nicht die Anklage gegen Taylor machte am nächsten Tag Schlagzeilen, sondern Khans Abgang.
In jenem Saal eins des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, in dem 2007 der Taylor-Prozess geführt wurde, wird Karim Khan demnächst selbst Anklagen verlesen. Die Mitgliedstaaten des IStGH wählten den Briten mit pakistanisch-muslimischem Migrationshintergrund am späten Freitagabend mehrheitlich zum neuen Chefankläger des Weltgerichts. Mit 72 von 123 Stimmen setzte er sich gegen Kandidaten aus Irland, Frankreich und Italien durch. Im Juni wird er die Nachfolge der Gambierin Fatou Bensouda antreten.
Khan wird der dritte Chefankläger des IStGH, nach Bensouda und ihrem Vorgänger Luis Moreno Ocampo, und er könnte sich als der bislang effektivste erweisen – ausgerechnet in einer Zeit, wo internationale Justiz und das Völkerstrafrecht sowohl von der Idee her als auch in der Praxis immer stärker unter Beschuss stehen.
Das Prinzip, schwerste Menschheitsverbrechen nach universellen Regeln weltweit zu verfolgen, hat sich nicht durchgesetzt. Bis heute hat der IStGH ausschließlich Fälle verhandelt, die im Interesse der jeweiligen Regierungen liegen, obwohl er eigentlich für Fälle zuständig ist, die Regierungen nicht selbst verfolgen können oder wollen – und er hat noch keinen politischen Verantwortlichen rechtskräftig verurteilt, sondern nur Rebellen und einige ihrer Chefs.
Schlecht vorbereitet
Gerade Fatou Bensouda hat eine Reihe hochkarätiger Fälle in den Sand gesetzt. Laurent Gbagbo, ehemaliger Präsident der Elfenbeinküste, wurde erstinstanzlich freigesprochen. Jean-Pierre Bemba, ehemaliger Vizepräsident der Demokratischen Republik Kongo, kam in der Berufung frei. In beiden Fällen wurde schlechte Arbeit der Anklagebehörde verantwortlich gemacht, ebenso beim Zusammenbruch der Anklagen gegen Kenias Präsident Uhuru Kenyatta und seinen Vize William Ruto.
Rutos Verteidiger – es ging um politische Gewalt mit über 1.300 Toten in Kenia nach den Wahlen Ende 2007 – war Karim Khan. Er kam nach drei Jahren Verhandlung durch mit dem unüblichen Antrag, den Fall wegen offenkundiger Aussichtslosigkeit der Anklage ohne Urteil zu den Akten zu legen, sehr zur Verärgerung Fatou Bensoudas.
Ausgerechnet Kenia sorgte nun dafür, dass Karim Khan in die engere Wahl für die Nachfolge Bensoudas kam. Der wohl profilierteste Verteidiger in Den Haag und Präsident der Juristenvereinigung des Strafgerichtshofs wird zum Chefankläger. Wird also der Bock zum Gärtner? Dieser Vorwurf geht in die Irre. Khan macht nicht den Eindruck eines gewissenlosen Wortklaubers, der wider besseres Wissen Verbrecher raushaut. Er bestreitet auch nicht, wie so manche seiner Kollegen, die Legitimität des Völkerstrafrechts insgesamt. Mit seiner leisen, verbindlichen Stimme tritt er als praktisch denkender Weiterentwickler einer den eigenen Ansprüchen bislang nicht gerecht werdenden internationalen Justiz auf.
Der Beginnn einer internationalen Karriere
Der in London ausgebildete Jurist, seit 1992 tätig, begann seine internationale Karriere als Berater der Anklagebehörde der UN-Völkermordtribunale für Ruanda und Ex-Jugoslawien. Eines seiner letzten großen Mandate war 2017 die Verteidigung eines in Kamerun vor einem Militärgericht angeklagten Menschenrechtsanwalts. Seit 2018 leitet Khan in Bagdad die UN-Ermittlungsbehörde Unitad für Verbrechen des „Islamischen Staates“ (IS) im Irak.
In seinem letzten Rechenschaftsbericht von November 2020 hebt er die Sorgfalt der Untersuchungen hervor: das Gewinnen und Dokumentieren von Aussagen, den Umgang mit Trauma und Schock, die psychosoziale Begleitung der Öffnung von Massengräbern. Es geht ihm offenkundig um neue, höhere Standards in der Anklagevorbereitung.
Bereits 2014 hatte Khan in einem Aufsatz über Verteidigerarbeit am IStGH auf Konstruktionsprobleme des Strafgerichtshofs hingewiesen: das Weltgericht sei zumindest anfangs eher ein „Thinktank“ gewesen, „losgelöst von den Realitäten der Ermittlungsarbeit und des Strafprozesses“, mit „unpraktischen und ineffizienten Verfahrensweisen“. Als Beispiele nannte er die Praxis, Verteidigern Beweismittel zu spät zur Verfügung zu stellen und durch Anonymisierung von Zeugenaussagen und Schwärzung wichtiger Details in den Akten deren Überprüfung unmöglich zu machen. All dies sind bekannte Probleme beim IStGH, über die in Prozessen gestritten wird.
Als Chefankläger des IStGH hat Karim Khan nun die Gelegenheit zu handeln. Im September 2020 hatte eine unabhängige Evaluierung der Arbeit des IStGH einen umfangreichen Abschlussbericht mit 384 Reformvorschlägen vorgelegt. Fatou Bensouda hatte diesen Bericht nur verhalten begrüßt und „weitere Konsultationen“ angemahnt. Von Karim Khan erwarten Beobachter, dass er sich tatkräftiger hinter Reformen stellt.
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