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Kanz­le­rin geht, Probleme bleibenDie NSU-Akte der Angela M.

Seit Monaten wird Angela Merkels Regierungszeit kritisch gewürdigt. Doch ein wesentlicher Aspekt kommt viel zu kurz.

Demo zum 10. Jahrestag der Enttarnung der Terrorgruppe NSU am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg Foto: dpa/Paul Zinken

W enn alles nach Plan läuft, wird in der kommenden Woche der Vizekanzler Kanzler und die Kanzlerin passé sein. Ein Hamburger tritt an, eine Uckermärkerin tritt ab.

Seit dem Spätsommer wird Angela Merkels Regierungszeit allenthalben kritisch gewürdigt. Ein wesentlicher Aspekt kommt leider viel zu kurz, obwohl er das Leben von Millionen Menschen in Deutschland betrifft: Für politische Kräfte am rechten Rand waren die anderthalb Jahrzehnte der Rauten-Regentschaft in weiten Teilen ein einziger Traum. Mit ihrem Postulat der Alternativlosigkeit ihrer Politik wurde Merkel indirekt zur Namensgeberin der Alternative für Deutschland. Vor allem aber gab es eine Konstante, die sie während ihrer Amtszeit nicht mehr loswurde: den NSU.

Als der im Herbst 2011 aufflog, hatte Merkel noch zwei Drittel ihrer Amtszeit vor sich. Auf der zentralen Gedenkfeier für die Opfer des rechten Terrors gab sie, noch sichtlich geschockt vom Ausmaß des Terrors und dem, ööhm, sagen wir mal, dilettantischen Vorgehen der Sicherheitsbehörden, ein Versprechen ab: „Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. […]“ Das allein reiche aber nicht, „denn es geht auch darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann.“

Symbolträchtigen Auftritten und aufrichtigen Worten wie diesen folgten leider selten nachhaltige Handlungen. Nicht nur blieben Behörden dem Narrativ des allein agierenden Trios um Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt verhaftet, nicht nur starben zentnerweise Akten den Schreddertod …

Versprochen, gebrochen!

Merkel schaute außerdem zu, wie ihre Innenminister den institutionellen Rassismus ihrer Behörden ignorierten, Studien verhinderten oder aber mit Hinweis auf das föderale System Verantwortung von sich schoben. Trotz sage und schreibe 13 Untersuchungsausschüssen und eines mehrjährigen Strafprozesses ist es nach einem Jahrzehnt nicht gelungen, umfangreich Licht ins braune und behördliche Dunkel zu bringen. Zehn Jahre später lautet das Urteil also: Versprochen, gebrochen!

Vielleicht ist der Fortschritt in Deutschland, wie in so vielen Bereichen, auch hier nur eine besonders träge Schnecke und Merkel hätte vor diesem Hintergrund mit ihren Gesten und Worten dann doch ganz schön viel gerissen (ich sage nur: Helmut Kohl + Solingen).

Vielleicht ist der Fortschritt in Deutschland, wie in so vielen Bereichen, auch hier nur eine besonders träge Schnecke

Nur: Das allein reicht nicht! Damit sich Millionen Menschen, die institutionellem Rassismus ausgesetzt sind, die als Opferangehörige zu Opfern falscher Anschuldigungen von Behörden werden, nicht weiterhin als Bür­ge­r:in­nen zweiter Klasse fühlen und annehmen müssen, für sie gelte der Rechtsstaat nur in Teilen, braucht es endlich mehr Taten statt nur warmer Worte (siehe Hanau).

Wenn der Ampel nicht zu früh der Strom ausgehen sollte, müsste sie gerade hier eines tun: Mehr Fortschritt wagen!

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Bobby Rafiq
Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.
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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Guter Artikel zur Merkel-Regierung und der NSU. Noch schöner wäre mal ein Artikel was Frau Faeser denn so in den letzten 19 Jahren zu der peinlichen Aufklärung in Hessen gesagt hat.

  • Was soll das denn für eine Legende sein?



    In den "Schröder-Jahren" mordete der also NSU nicht, weil Fahndungsdruck so hoch?



    Die Geschichte ist genau anders herum. Es war ihre tödlichste Zeit.



    Und unter Gas-Gerd waren die gleichen Leute beim VS zugange wie unter Merkel, die gleichen V-Nazis wurden mit Geld und Nachsicht vom Dienst gepampert.

  • Ich habe nie viel von Merkel gehalten, sie ist Schröder mit anderen Mitteln. Gerade die Arbeit des Innlandsgeheimdienstes gegenüber Neonazis wirft doch mehr Fragen auf, als es Antworten gab. Und mir drängt sich der Eindruck auf, dass geschreddert werden musste, dass der Staat jahrelang der Hauptsponsor von vielen Neonazis war.

  • Ich habe bisher wenige Artikel gelesen, in denen Angela Merkels politisches Wirken angemessen kritisch gewürdigt worden wäre. Aber ich vertraue hier auf das Urteil der Nachwelt. Als Kohl abtrat, waren auch alle klugen Journalisten einig, dass er schon ein ganz großer gewesen sei. Die Geschichte hat ihn dann gründlich zurechtgestutzt.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Vermutlich wäre die eigentliche, große Aufgabe, das "Eigenleben" von Verfassungsschutz, BND und LKA zu kontrollieren und einzudämmen.



    Theoretisch gibt es dafür parlamentarische Werkzeuge, praktisch scheint dem "Eigenleben" immer wieder eine erfolgreiche Einmauerung zur Transparenzabwehr möglich zu sein.

  • Rot-Grün uter Schröder ist sicherlich einiges vorzuwerfen. Eine Sache war in den Schröder-Jahren aber anders. Der Kampf gegen rechtsradikale Umtriebe wurde deutlich ernster genommen als unter Kohl und die Neonazis waren erstmal in der Defensive.

    Das hat sich unter Merkel wieder langsam geändert. Die CDU ist absolut untätig gegen faschistische Umtriebe

    • @Alfonso Albertus:

      Schließe mich an. So ist das.



      Hannah Arendt nannte das übrigens "das Bündnis von Bourgeoisie und Mob", nachzulesen in Elemente & Ursprünge totalitärer Herrschaft.

    • @Alfonso Albertus:

      Kann ich so, wortwörtlich so, nur voll und ganz zustimmen!