Kommentar: Kanonen auf Spatzen
■ Grundrecht gilt wenig – in Bremen
Gerade einmal drei Wochen ist es her, daß sich der Justizsenator Bremens, Bürgermeister Henning Scherf (SPD), anschickte, die Grundrechte der Bürger dieses Landes zu retten. Er werde dem Großen Lauschangriff nicht zustimmen, kündigte Scherf vollmundig an, um dann der Grundgesetzänderung doch zur Mehrheit zu verhelfen.
Während Scherf große Reden schwingt, durchsucht die Bremer Staatsanwaltschaft, deren Dienstherr Scherf ist, am laufenden Meter Privatwohnungen aus nichtigen Anlässen. Die Anschrift eines umstrittenen Wissenschaftlers auf einem Flugblatt zu veröffentlichen ist nicht strafbar, der Affenforscher steht im Telefonbuch. „Bleiben Sie höflich! Sonst kommen Sie nicht weiter“, mahnen die Autoren ausdrücklich. Was soll da ein Strafverfahren? Die Flugblattschreiber müssen schließlich nicht mit den Drohbriefschreibern identisch sein. Außerdem ist jeder Mensch für sein Handeln selbst verantwortlich. Auch der AStA wird durchsucht, Begründung: Der Arbeitskreis könnte dort an dem Flugblatt gearbeitet haben.
Das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung gilt in Bremen wenig. Die Staatsanwaltschaft schießt mit Kanonen auf Spatzen – und Scherf, der Justizsenator sieht zu. Formal hat er keine Möglichkeit, den Staatsanwälten Vorschriften zu machen. Aber es sieht schlecht aus, wenn man in die große Welt hinausposaunt und nicht vor seiner eigenen Haustür kehrt. Kerstin Schneider
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen