Kanadischer Triathlet beim Ironman: Vom Süchtigen zum Triumphator
Der Triathlet Lionel Sanders will den Ironman auf Hawaii gewinnen. Dass es überhaupt soweit kam, grenzt an ein Wunder.
Triathleten, die sich für den Ironman Hawaii qualifizieren, sind oft sonderbare Typen. Wer nacheinander 3,8 Kilometer in der Bucht von Kailua-Kona schwimmt, 180 Kilometer auf dem Queen Kaahumanu Highway Rad fährt und 42,195 Kilometer über den Alii Drive läuft, der braucht für den Tag der Wahrheit auf Big Island einen besonderen Antrieb. Lionel Sanders hat sich daheim ein Foto an die Wand vor seinem Laufband gehängt, wie er mit hängenden Schultern und gebeugtem Rücken dem Ziel entgegentaumelt.
Das Motiv aus dem vergangenen Jahr vermittelt den Eindruck eines geschlagenen Mannes. Tatsächlich hatte der Kanadier erst wenige Kilometer vor dem Ziel den heranfliegenden Patrick Lange passieren lassen müssen. Sanders, bei seinen ersten Hawaii-Starts als Profi noch auf den Plätzen 14 (2015) und 29 (2016) gelistet, musste sich mit Platz zwei begnügen. Gleichwohl feierte ihn die Szene als denjenigen, der wie Phönix aus Asche kam.
„Es war eine gute Leistung. Mehr aber auch nicht, denn ich sehe noch extrem viel Spielraum für Verbesserungen“, sagte Sanders nun im Interview mit dem Triathlon Magazin. Jetzt möchte er gewinnen. Das Szenario von Langes Überholmanöver ist sein täglicher Antrieb für die Trainingstortur. Zeitweise hat ihn der drahtig gebaute, federleicht laufende Darmstädter derart fasziniert, „dass ich ihm versuchte nachzueifern“. Das ging so weit, dass der 30-Jährige immer dünner und dünner wurde, bis Sanders in den Wettkämpfen förmlich aushungerte, weil er nicht mehr genügend Kalorien zu sich nehmen konnte.
Seitdem hat er aufgehört, als Lange-Kopie unterwegs zu sein, zumal er seinen unrunden, ja unkonventionellen Laufstil nicht mehr gänzlich ablegen kann. „Ich muss versuchen, das Rennen auf meine Art und Weise zu gewinnen.“ Den Rückstand im Wasser nicht zu groß werden zu lassen, auf der Radstrecke wie verrückt in die Pedale zu treten, um dann in der zweiten Marathonhälfte nicht mehr langsamer zu werden, darum geht es. Ob der Plan aufgeht?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Sanders wird vermutlich derjenige sein, der heute (18.35 Uhr, ZDFsport.de und ZDF) als Erster auf die Laufstrecke geht. Für die Vermarktungsmaschinerie der im Besitz des chinesischen Konzerns Wanda befindlichen Ironman-Marke würde es perfekt passen, wenn dieser Eisenmann seinen Vorsprung bis ins Ziel rettete: Der Eigenbrötler ist mit seiner bewegenden Vita als Missionar in Entwicklungsmärkten wie geschaffen. Seine Heldengeschichte geht in Kurzform so: vom Drogensüchtigen zum Triumphator.
Sport statt Drogen
In der Highschool war der Freak noch ein talentierter Läufer, später in der Provinz Ontario kam er an der Universität mit dem Partyleben in Berührung, wie Sanders es nannte. In den langen Wintern nahm sein Konsum von Drogen und Alkohol rapide zu. Die Abwärtsspirale nahm ihren Lauf, bis er sich, so erzählte es Sanders, Ende 2009 auf einem Stuhl mit einem Gürtel um den Hals in der Garage seiner Mutter wiederfand. Bereit, sein Leben zu beenden, weil er sich weigerte, gegen die Abhängigkeit zu kämpfen.
Lionel Sanders
Stattdessen begann er bald wieder mit dem Laufen. Irgendwann fragte er seine Mutter, ob sie ihm ihre Kreditkarte geben würde, damit er sich zum Ironman Louisville anmelden könnte. Er kam 2010 unter 10:15 Stunden ins Ziel. Es war der Beginn einer neuen Leidenschaft. „Triathlon ist nur der Ausdruck tieferer Dinge, die in mir vorgehen“, sagte er einmal und räumte ein, dass er wohl die eine Sucht gegen eine andere in seinem Leben eingetauscht hat, um die Wende zu schaffen. Sport statt Drogen.
Weil ihn viermal beim Radtraining ein Auto anfuhr und er sich selbst als Stubenhocker beschreibt, verlegte er weite Teile des Trainings nach drinnen. Er fuhr endlose Stunden auf einer freien Rolle, legte sich erst ein Laufband und später eine Gegenstromanlage zu, um das heimische Trainingsarsenal komplett zu machen. Eine Heizung simulierte die Hitze, die den Hawaii-Teilnehmern zu schaffen macht.
Doch die fehlende Freiluftpraxis hatte auch Schattenseiten: Beim Ironman 70.3 in Wiesbaden trug es den Exzentriker vor zwei Jahren auf dem bergigen Kurs plötzlich mit fast 70 Stundenkilometern aus der Kurve. Aber auch dieses Malheur überstand er weitgehend unbeschadet.
In diesem Jahr ist Sanders wieder mehr draußen gewesen. Und seit einem Monat trainiert er auf Hawaii. „Ich will eins mit dem Kurs, der Hitze und dem Wind werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht