Kanadas Premier Trudeau tritt zurück: Zum ungünstigsten Zeitpunkt
Justin Trudeau tritt zurück und hinterlässt ein Machtvakuum. Dabei ist es fraglich, ob die Ideen der konservativen Opposition überhaupt etwas taugen.

N un also Kanada. Wieder muss ein Regierungschef in einer Welle allgemeiner Unzufriedenheit über zu hohe Lebens- und Wohnkosten seinen Rücktritt erklären. Justin Trudeau, 2015 als progressiv-liberaler Posterboy gestartet, stand mit seinem Führungsstil schon länger in der Kritik. Und die Empörung über verschiedene Skandale hat er nie ausräumen können. Aber das radikale Absinken seiner Popularität und der seiner Partei ist ohne die wirtschaftlich-sozialen Probleme kaum zu erklären. Und das, obwohl Zweifel angebracht sind, ob die Vorschläge der konservativen Opposition taugen.
Trudeaus Rückzug war wohl innenpolitisch nicht mehr zu vermeiden. Und doch kommt er zwei Wochen vor dem Amtsantritt Donald Trumps in den USA zum einem Zeitpunkt, der ungünstiger nicht sein könnte. Gerade jetzt bräuchte es eine Regierung, die kanadische Interessen gegen Trumps Zollandrohungen offensiv vertritt. Sowie eine, die aus einer Position legitimierter Souveränität heraus Trumps Fantasien, Kanada wäre als 51. US-Bundesstaat viel besser dran, auslachen könnte.
Stattdessen stehen Kanada mehrere Monate Machtvakuum bevor, wenn jetzt zunächst innerhalb der Liberalen Partei Trudeaus Nachfolge bestimmt wird, die dann Ende März trotzdem durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt werden kann, woran sich ein Wahlkampf anschließt.
Doch trotz des Vorsprungs der Konservativen, die in den aktuellen Umfragen rund 25 Prozentpunkte vor Trudeaus Liberalen liegen, scheint das in Kanada keinen allgemeinen ideologischen Rechtsruck zu bedeuten. Zwar macht auch der konservative Parteichef und Premier in spe Pierre Poilievre ein bisschen Kulturkampf gegen „Wokeism“, er will die CO2-Steuer abschaffen und die Regulierungen für Öl- und Gasförderungen lockern. Aber weder das liberale Abtreibungsrecht, LGBTQ-Rechte und Cannabislegalisierung noch Grundsätze der Migrationspolitik stehen zur Debatte.
Seit Trudeau 2015 den letzten konservativen Premier Stephen Harper ablöste, hat sich Kanada verändert – und das insgesamt wohl doch zum Guten.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
Lindner und die FDP verabschieden sich aus der Politik
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945