Kanada und die WM 2015: Kein Märchenland
Kanadas Nationalteam ist längst ausgeschieden und spielt nur noch um die Ehre. Für den Ausrichter der WM 2015 kommt dies einem Desaster gleich.
BERLIN taz | Der Traum ist schon seit vergangenem Donnerstag aus. Doch die 0:4-Niederlage gegen Frankreich, die das Ausscheiden aus dem WM-Turnier bedeutete, war für Kanadas Nationaltrainerin Carolina Morace nicht unbedingt ein Schock.
Schon kurz nach dem Spiel tat sie so, als habe sie nichts anderes erwartet. „Ohne Spielpraxis kann man nicht gewinnen“, sagte sie. An das Spiel um die Ehre gegen Nigeria, das ihre Mannschaft am Dienstag in Dresden (18 Uhr, ARD) austrägt, verschwendete sie zunächst keine Gedanken. Sie dachte schon weiter. Die nächste WM findet 2015 in Kanada statt. Da muss ein besserer Auftritt gelingen. Das weiß auch die italienische Trainerin. Doch die ist skeptisch.
„Es ist an der Zeit, eine eigene Liga in Kanada zu etablieren“, sagte sie. Seit Jahren fordert sie eine zehn bis zwölf Teams unfassende Spielklasse. Die kurzzeitige Fußballherrlichkeit im Norden Amerikas, die Kanada vor diesem Turnier auf Platz sechs der Weltrangliste geführt hat, sie könnte andernfalls ein jähes Ende finden. „Aber Kanada ist groß“, meint Morace, da brauche es die absolute Unterstützung des Verbandes. Die sehe sie im Moment nicht. „Eigentlich dachte ich, dass wir bis 2015 so weit sein können. Das Ergebnis hier in Deutschland hilft uns jetzt nicht unbedingt weiter.“
Zunächst wird sich also erst einmal nichts ändern im Land der WM-Gastgeberinnen von 2015. Den zahlreichen Fußballerinnen, die Rede ist von fast 400.000, die vor allem in Jugend- und Uni-Mannschaften spielen, fehlt die Perspektive. „Uns fehlen einfach die großen Spiele“, meint Morace. Nicht nur die großen: Elf Spielerinnen des gescheiterten WM-Aufgebots gehören derzeit keinem Klub an. Manche schaffen es in die W-League, einer zweitklassigen Spielserie, in der Teams aus den USA und Kanada gemeinsam kicken.
Wer dort aktiv ist, hat meist nur ein Ziel, einen Vertrag für die US-Profiliga WPS. Dorthin haben es nur drei Frauen aus dem kanadischen Kader geschafft, unter anderem die wuchtige Stoßstürmerin Christine Sinclair, die bei Western New York Flash spielt. „Es muss noch viel Entwicklungsarbeit geleistet werden“, sagt Morace.
Ob sich Carolina Morace an dieser Entwicklungsarbeit überhaupt noch beteiligen kann, ist aber fraglich. Kanadas größte Tageszeitung, die Globe and Mail, deutet das Scheitern des Nationalteams bei der WM in Deutschland bereits als Moraces eigenen Abgesang. Das kanadische Team habe die wichtigste Chance verpasst, sich bei einem internationalen Turnier hervorzutun und die Trainingsmethoden Moraces mit Erfolg zu krönen. Nach Ansicht der Zeitung werde der Kanadische Fußballverband (CSA) die Situation nutzen, um die ohnehin umstrittene Trainerin endlich loszuwerden.
Der Weltmeisterschaft 2015 blickt die Tageszeitung Globe and Mail, die Moraces Traum von einer landesweiten Liga „eine Chance nahe null“ einräumt, düster entgegen: „Das totale Desaster in Deutschland hat das große Potenzial, alles zu überschatten.“ Es sind schwierige Zeiten angebrochen für Kanada und seine Fußballfrauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste