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Kampf um KobaniWird die Stadt geopfert?

Der IS greift Kobani von drei Seiten an. Kurden und USA reagieren mit einzelnen Rückschlägen. Kritiker sagen, die USA haben die Stadt aufgegeben.

Türkische Kurden beten an der Grenze zu Kobani. Bild: ap

BEIRUT/KOBANI/BERLIN afp/dpa | Die kurdischen Milizen in Kobane haben am Samstag offenbar einen Vorstoß der Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) auf das Zentrum der nordsyrischen Stadt gestoppt. 90 Minuten sei heftig gekämpft worden, dann hätten sich die Dschihadisten zurückgezogen, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

IS hat die syrisch-kurdische Grenzstadt von drei Seiten aus angegriffen. Der kurdische Aktivist Farhad al-Schami berichtete der Deutschen Presse-Agentur am Telefon Kobani, es gebe heftige Gefechte im Süden, Westen und vor allem im Osten der Stadt. Den nur mit leichten Waffen ausgerüsteten kurdischen Kämpfern sei es gelungen, während der Nacht mindestens sieben Angriffe der Dschihadisten im Südwesten zurückzuschlagen.

Ismat Hassan vom Verteidigungsrat in Kobane sagte der kurdischen Nachrichtenagentur Welati, seine Kämpfer hätten nachts mindestens zwei Selbstmordanschläge von IS-Angreifern in der Nähe des Zentrums vereitelt. Die US-geführte Allianz habe am frühen Morgen überdies zwei IS-Stellungen südlich und östlich von Kobane aus der Luft angegriffen.

Die Kurdenhochburg wird seit Wochen von den IS-Extremisten belagert. Am Freitag hatten sie die Kommandozentrale der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) erobert und kontrollieren der Beobachtungsstelle zufolge inzwischen rund 40 Prozent der Stadt. Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, warnte deswegen am Freitag vor einem „Massaker“ an den eingekesselten Zivilisten. Die Syrische Beobachtungsstelle stützt sich auf ein dichtes Netz an Informanten in Syrien.

Die EU zeigt sich besorgt

Der UN-Sondergesandte für Syrien warnte vor einem Massaker an Zivilisten in Kobane. Sollte der IS die Stadt erobern, hätten die sunnitischen Extremisten einen durchgängigen Grenzstreifen von mehr als 200 Kilometern zur Türkei unter ihrer Kontrolle. Die EU zeigte sich sehr besorgt. Die EU, die Türkei sowie regionale und internationale Partner müssten verstärkt zusammenarbeiten, um der Bedrohung durch den IS zu begegnen, teilte der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel mit.

Marie Harf, stellvertretende US-Außenamtssprecherin, sagte, die Türkei habe zugesagt, die gemäßigte Opposition in Syrien durch militärische Ausbildung und Ausstattung zu unterstützen. Einzelheiten nannte sie allerdings nicht. Zu türkischen Überlegungen, eine Pufferzone im Grenzgebiet einzurichten, äußerte sich Harf skeptisch. „Wir erwägen die Verwirklichung dieser Option derzeit nicht.“

Die USA hätten Donnerstag und Freitag 16 Luftangriffe nahe Kobane geflogen, fügte sie hinzu. Offenbar seien bereits sehr viele Einwohner aus der Stadt geflohen. Bei der Bewertung der Effektivität der Luftangriffe gehe es aber nicht nur um Kobane. Man müsse sich auf eine langwierige Auseinandersetzung einstellen. „Das wird ein harter Kampf“, sagte Harf.

Nach Einschätzung des US-Experten Jackson Janes haben die USA die syrische Grenzstadt Kobane im Kampf gegen die Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) längst aufgegeben. „Kobane wird ein Opfer sein“, sagte Janes von der Johns Hopkins University article_id=300013:am Samstag dem Sender Deutschlandradio Kultur. Ein Signal dafür sei, dass die von den USA geführte Militärkoalition gegen den IS erst am kommenden Dienstag zu Beratungen über die Krise zusammenkomme.

Türkei noch nicht bereit

Selbst ein drohendes Massaker an Zivilisten ähnlich wie in Srebrenica würde nicht dazu führen, dass die USA ihre Strategie änderten und Bodentruppen einsetzten, sagte Janes. In den USA herrsche nach dem Irak-Krieg die Haltung, keine Truppen zu entsenden, solange nicht die unmittelbaren Nachbarn in der Region aktiv werden. Und die Türkei, an deren Grenze Kobane liegt, ist dazu noch nicht bereit. „Das ist ein schwerwiegendes Argument“, sagte der Direktor des American Institute for Contemporary German Studies.

Nach einer Eroberung von Kobane durch den IS werde es gegenseitige Schuldzuweisungen geben, da die Türkei darauf bestehe, keinen alleinigen Vorstoß zu machen, und Washington zunächst die Kräfte in der Region am Zug sehe. „Wenn selbst die unmittelbaren Nachbarn nicht eingreifen, warum sollten wir das tun?“, sei die vorherrschende Meinung in der US-Öffentlichkeit und im Kongress.

Ohne Bodentruppen sieht Janes die Grenzstadt verloren: „Selbst eine Supermacht ist nicht in der Lage, so eine Krise zu lösen, ohne den Einsatz von Truppen. Es ist blamabel, es ist eine Katastrophe“, aber momentan wohl „eine gegebene Tatsache (...), man nimmt das in Kauf“.

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14 Kommentare

 / 
  • 2.0

    "…Wird die Stadt geopfert?…"

     

    gemeint sind Menschen -

    die Einwohner

     

    Bellizisierung -

    schreitet fort -

    beginnend mit Sprech&Schreibe

    Kopf&Handlung folgen

  • @Age Krüger "Wobei ich noch immer kein durchschaubares Konzept hinter allen bisherigen westlichen Vorstellungen sehe."

     

    Das westliche Konzept ist recht simpel: Destabilisierung und Profit.

     

    ISIS verkauft syrisches und irakisches Öl zu einem Fünftel des Weltmarktpreises. Das ist gut für den Profit. USA und sonstige aus der Koalition der Unwilligen verschiessen Tomahawks und Bomben im Wert von Milliarden, ISIS setzt einen Gutteil ihres Profits in Waffen um. Das ist gut für's Geschäft.

     

    Die linkslastigen Kurden möchte man nicht wirklich. Eine starke Türkei auch nicht. Da ist ein Gemetzel in Kobane genau richtig. Es trägt den Bürgerkrieg [ siehe Erdogan auf Bürgerkriegskurs | http://unurl.org/2Uvy ] in die Türkei. Das libysche Konzept: ein zwanzigjähriger Krieg [ Der zwanzigjährige Krieg | http://unurl.org/2Uvz ] in dem vor allem Araber und sonstige "Barbaren" den Kopf hinhalten, in dem Öl billigst verscherbelt wird und die Waffen- und auch die heimische Sicherheitsindustrie gute Profite machen.

     

    Nebenbei dient die resultierende Terrorgefahr zum Abbau von Bürgerrechten und zur Ausbau des westlichen Überwachungsstaats.

     

    Wenn es ISIS nicht gäbe, müßte man sie erfinden. Hat man aber schon. Und so wie die Taliban bleiben sie. Sie sind gut für's Geschäft.

    • @h4364r:

      Das ist eigentlich die naheliegendste, klassische marxistische Erklärung und scheint sehr naheliegend zu sein.

      Hätte ich auch eigentlich selbst drauf kommen können. Der Srebrenica-Vergleich hat mich davon abgelenkt, aber der ist auch unzutreffend insofern als damals das kapitalistische Ziel, Jugoslawien zu zerschlagen schon erreicht war und es dann evtl. im Sinne der Kapitalanleger darum ging, endlich Stabilität in Bosnien zu erzwingen. Dafür kann man natürlich auch über ein paar 1000 Leichen gehen.

      In Syrien ist es ja noch gar nicht erreicht, dass ausreichend destabilisert wurde. Noch gibt es Assad ja noch, also müssen jetzt die Kurden erstmal dran glauben, weil sie das Pech hatten, auf dem Weg des IS zu liegen.

      Und ich fragte mich seit Tagen schon, warum trotz der instabilen Lage der Heizölpreis weiter und weiter fällt. Ich wollte nämlich erst beim ersten Anziehen sofort bestellen.

       

      Passt alles zusammen. Da von einer Hoffnung für die Kurden zu sprechen, wäre tatsächlich unrealistisch.

  • "Selbst ein drohendes Massaker an Zivilisten ähnlich wie in Srebrenica würde nicht dazu führen, dass die USA ihre Strategie änderten und Bodentruppen einsetzten, sagte Janes."

     

    Welche Strategie soll da geändert werden. Als ich den Vergleich mit Srebrenica las, fiel mir wieder ein, dass in der BRD so gut wie nie etwas über den niederländischen Untersuchungsbericht bekannt wurde, obwohl deswegen die Regierung Kok zurücktrat.

    Die NATO und insbesondere die USA waren lange vor dem Überfall von Srebenica von den niederländischen Blauhelmen alarmiert worden. Es kam aber keine Reaktion, weil Srebenica wohl geostrategisch schon als nicht haltbar galt in als Enklave faktisch im serbischen Gebiet.

     

    Und so ist nun mal Krieg. Auch Kobane wird wohl strategisch nicht zu den Punkten zählen, die die Militärs zu einer sinnvollen taktischen Ergänzung für ihre Pläne halten.

    Wobei ich noch immer kein durchschaubares Konzept hinter allen bisherigen westlichen Vorstellungen sehe. Am ehesten schätze ich auch, dass man erstmal abwarten will, bis sich Kurden, IS und Assad gegenseitig abgeschlachtet haben, um dann den Sieger dieses Gemetzels anzugreifen.

  • Ich bin auch der Meinung das die Türkei genug tut. Es wird in den Medien gerade Türkei Bashing vom feinsten betrieben. Die Kurden sollen wie viele von ihnen schon Richtung türkische Grenze fliehen. Falls D-Land mithelfen möchte können sie auch mal tausende Flüchtlinge aufnehmen.

    Und Überhaupt warum sollte die Türkei der PKK u.ä helfen? Der zivilen Bevölkerung kein Problem, aber international bekannten Terroristen die sich mit krummen Geschäften in Europa finanzieren?! Macht eure Augen auf, dort unten tobbt ein Machtkampf zwischen Terroristen, warum sollte dort eingegriffen werden?

    • @Maho87:

      Macht die Augen auf ! 800 Mio Dollar für IS-Oel aus türkischen Kassen.

  • Es ist schon widerwärtig heuchlerisch, wie einige vorgeben, sich Sorgen zu machen über Verlust von Menschenleben. Die paar Hundert Zivilisten in der Stadt könnten jederzeit und innerhalb von wenigen Stunden sich in der Türkei in Sicherheit bringen. Werden sie möglicherweise daran gehindert ? Und von wem? Sollen sie gegen ihren Willen als Märtyrer geopfert werden um der Propaganda Maschinerie der PKK als Futter zu dienen? Cui bono?

    • @einTürk:

      Es ist schon heuchlerisch, wie einige vorgeben, sich Sorgen zu machen über den Verlust von Menschenleben und diesen militärisches Gerät bzw.- Unterstützung verweigern, während der IS bis heute die türkische Grenze zur Auffrischung passiert.

      Würden Sie nicht auch Ihre Stadt mit allen Kräften zu verteidigen versuchen, Herr @ein Türk oder gleich fortrennen.

      Scheiss Doppelmoral !

  • es mag ein bischen hart klingen, wer die Geschichte des Warschauer Aufstandes 1943 ein bischen kennt, weis, als die Menschen im Warschauer Ghetto kämpften, die Rote Armee abwartend in Sichtweise Warschaus verharrt, böse Zungen behaupten, mit Absicht, alle freiheitliche Kräfte verloren Leib und Leben, was Stalin nur recht sein konnte!

  • Erdogan sieht bewusst zu, wie die ungeliebten Kurden, die er noch vor kurzem mit den IS-Milizen gleichgesetzt hat, letztlich hingeschlachtet werden. Da werden die autonomen und für die Türkei „gefährlichen“ Gebiete geschwächt.

    Claudia Roth hat es doch im MorgenMagazin am letzten Mittwoch deutlich ausgesprochen… nur das davon dann in den Abendnachrichten nichts mehr zu hören/sehen war. Das war dann doch zu heiss?

    In der Türkei finden Camps und öffentliche Gebetsveranstaltungen der IS statt, Waffenlieferungen an den IS gehen mit Wissen durch die Türkei. Hier gilt es Druck auszuüben und so Roth wörtlich „die dreckige Politik“ Erdogans zum Nato-Thema zu machen. Das ist doch unglaublich und bedarf allenfalls einer weiteren Frage, die gestellt und beantwortet werden muss: Wo kommt die Knete für den IS her – und wer steht da in zweiter Linie und zahlt diesen Terror - etwa über Öllieferungen? Warum hören wir so wenig über die wirtschaftlichen Hintergründe? Das wäre eine taz-Recherche wert. Ein ruhiges Wochenende.

    • @Zeuge14:

      Wenn Erdogan zusehen wollte, wie die "ungeliebten Kurden" hingeschlachtet werden sollten, hätte er bestimmt nicht 1,6 Millionen !!!! Flüchtlinge, darunter Hunderttausende von Kurden aufgenommen. Das scheint an Ihnen vorbeigegangen zu sein.

      • @einTürk:

        Hätte er eine andere Wahl gehabt, ohne das Gesicht komplett zu verlieren oder einen Bürgerkrieg in der Türkei zu provozieren ? Nee, mit dem Menschenfreund Erdogan wird das so nichts.

  • Frau Merkel, Herr Gauck, .... wollen mehr Verantwortung in der Welt? Dann sollten sie sofort diese Forderung der Kurden unterstützen und Druck auf die Türkei ausüben! Wenn Sie das nicht tut, ist sie für den Tod der Kurden in Kubani mit verantwortlich und trägt mir Schuld daran, dass noch mehr Menschen aus Ihrer Heimat fliehen müssen. Wegsehen ist auch eine Schuld!

     

    "Die Vorsitzende der Partei der Demokratischen Union (PYD), Asia Abdullah, appellierte aus Kobani an die Anti-IS-Allianz, einen »Hilfskorridor« über türkisches Staatsgebiet zu öffnen. So könne Unterstützung aus den anderen zum Selbstverwaltungsgebiet Rojava gehörenden Kantonen sowie aus dem Nordirak zu den Verteidigern von Kobani gelangen."

    siehe: https://www.jungewelt.de/titel/t%C3%BCrkei-vor-b%C3%BCrgerkrieg

  • Auf die NATO ist Verlass--,das steht mittlerweile fest. Wenn' s mal richtig rund geht , ist die NATO direkt da, aber nur dann, wenn es direkt um die Interessen der USA geht.