piwik no script img

Kampf gegen sexualisierte GewaltEs gibt keine Wunderwaffe

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

Gut, dass mehr gegen Missbrauch im Internet getan wird. Die Überwachung von Messenger-Chats schießt allerdings über das Ziel hinaus.

Holger Münch, BKA-Präsident, und Kerstin Claus, unabhängige Beauftragte für sexuellen Missbrauch Foto: Wolfgang Kumm/dpa

E s sind unerträgliche Zahlen, es sind unerträgliche Fälle. Im Schnitt 49 Kinder in Deutschland werden täglich Opfer sexualisierter Gewalt. In 39.000 Fällen wurden im vergangenen Jahr Missbrauchsdarstellungen angezeigt – eine Verdoppelung zum Vorjahr. Und klar ist: Das Dunkelfeld ist in diesem Feld noch viel, viel größer.

Es ist daher richtig, dass die Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus fordert, dieses Dunkelfeld aufzuhellen. Und es ist auch richtig, wenn SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser mehr Personal in den Sicherheitsbehörden für Ermittlungen ankündigt. Bis heute ist ein Hauptproblem, dass die Er­mitt­le­r:in­nen in diesem Feld mit riesigen Datenmengen kämpfen. Viel zu lange dauert es, bis solche Daten bearbeitet und gelöscht werden.

Dass dazu auch das Instrument der Chatkontrolle in Anschlag gebracht wird, mit dem Messenger-Beiträge nach Schlagworten gescannt werden sollen, schießt dagegen über das Ziel hinaus. Denn dieses Instrument würde sich plötzlich nicht nur gegen Hunderte ­Millionen Nutzer von Messenger­diensten richten, es stellt auch verschlüsselte Kommunikation grundsätzlich infrage.

Zwar wird deren Schutz von der EU-Kommission weiter betont, aber wie genau soll der Massenfilter sonst funktionieren? Und wie genau soll er strafbare Inhalte von harmlosen oder privaten unterscheiden? Schon jetzt ist klar: Die Chatkontrolle ist zu grob, zu weitgehend, sie zieht zu viele Unbeteiligte mit in Verdacht.

Es braucht mehr als die Hoffnung auf eine technische Wunderwaffe: Es braucht ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Mehr und geschultes Personal in den Ermittlungsbehörden, das nicht in privaten Chats, sondern in einschlägigen Foren und Plattformen forscht. Einen engeren Austausch der Behörden mit Hilfenetzwerken. Oder Aufklärung für Schulen und Eltern, um stärker für Missbrauchsfälle zu sensibilisieren – auch für Jugendliche, die vielfach strafbare Inhalte online teilen, ohne zu begreifen, was sie da tun.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Die "Chatkontrolle" schösse nicht (nur) übers Ziel hinaus, sie schösse auch grob daneben, weil ja jetzt schon kaum entsprechende Inhalte über Messenger (oder E-Mail oder was noch alles unter die Vorschläge fällt) verbreitet werden. Wenn überhaupt, laufen darüber einfach Links zu den Inhalten bei irgendwelchen Cloud-Diensten (die das idR gern und schnell löschen, so man sie denn informiert, was die deutschen Behörden bekanntermaßen bisher nicht taten).

    Vielleicht sollte man beim Berichten das Framing entsprechend anpassen. Das Ganze ist nicht nur eventuell ein bisschen übertrieben (was sich von interessierter Seite mit "aber denkt doch bitte an die Kinder!1!" wegargumentieren ließe) – die Technik wäre auch überhaupt nicht in der Lage, etwas Sinnvolles beizutragen.



    Vgl. netzpolitik.org/20...rundrechte-bedroht , netzpolitik.org/20...ind-minderjaehrig/

    -- "Wenn man die Privatsphäre kriminalisiert, haben nur noch Kriminelle eine Privatsphäre."