Kampf gegen Rechtsextremismus in Sachsen: „Auf die Zivilgesellschaft zugehen“

Das Kulturbüro Sachsen berät die demokratische Stadtgesellschaft in Görlitz. Grit Hanneforth über Demokratiearbeit im ländlichen Raum.

Blick über die Dächer der Altstadt von Görlitz

Blick über Görlitz: auch die rechte Szene ist in der Stadt aktiv

taz: Frau Hanneforth, Sie haben in Görlitz – einer Hochburg von Rechtsextremen – die bereits fünfte mobile Beratungsstelle gegen rechts in Sachsen eröffnet. Worin besteht Ihre Arbeit?

Grit Hanneforth: Wir beraten die Menschen, die sich engagieren, um demokratische Grundstandards fortzuentwickeln, zu halten und Projekte und Ideen zu entwickeln. Wir stärken die Zivilgesellschaft und die Engagierten, machen Beobachtungen, Analysen und Monitoring mit Blick auf neonazistische und rechte Strukturen. Wir versuchen, eine Sensibilisierung in den jeweiligen Orten für die bestehenden Problemlagen zu erreichen.

Die Kolleginnen und Kollegen von der Opferberatung, mit denen wir das Büro in Görlitz nun gemeinsam eröffnet haben, machen Monitoring mit der Perspektive auf Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt und beraten diese. Erstmalig hatten wir als Träger im ländlichen Raum nun die Möglichkeit, eine Beratungsstruktur aufzubauen, bei der mobile Beratung und Opferberatung gemeinsam arbeiten können.

Warum macht es Sinn, diese beiden Ansätze zu verbinden?

Für uns war ganz wichtig, dass wir das Beratungsangebot auch in ländliche Regionen abseits der großen Städte tragen, weil es gerade in der Region Görlitz sowie den Landkreisen Görlitz und Bautzen seit zwanzig Jahren Kontinuitäten in neonazistischen Strukturen sowie aktuelle Aktivitäten gibt. Unsere Erfahrung ist: Sobald man mit einem Unterstützungsangebot für zivilgesellschaftliche Akteure sichtbar wird, laufen die Beratungsanfragen sofort an. Diese Öffentlichkeit schützt.

Dass wir uns für Ostsachen entschieden haben, ist insofern kein Zufall, als dass es gerade dort verfestigte Strukturen im neonazistischen Spektrum gibt – Orte und Strukturen, auf die Neonazis immer wieder zurückgreifen können und die dann wiederum Ausgangs- oder Resonanzorte für das politische Klima sind. Aber was die Region eben auch auszeichnet, ist, dass es ein breites zivilgesellschaftliches Engagement gibt.

Görlitz ist ein Hotspot rechter Kriminalität, die rechtsextreme Szene trifft sich hier häufig. Ein Drittel der 22 Immobilien, die von der rechten Szene genutzt werden, befindet sich laut Verfassungsschutz in den Landkreisen Bautzen und Görlitz. Sind rechte Aktivitäten sichtbar oder finden sie eher verdeckt statt?

Bedauerlicherweise wird der Immobilienkauf an sich oft spät von kommunalen Strukturen wahrgenommen. Diese Immobilien werden oft für Strukturen und Orte der neurechten oder neonazistischen Szene gekauft, teilweise aber auch verdeckt über Strohmänner.

In den überwiegenden Fällen ist es so, dass die Käufe schon getätigt sind und es erst gelingt, über Veranstaltungen oder zivilgesellschaftliche Aktionen eine Aufmerksamkeit vor Ort herzustellen. Es gibt zahlreiche Beispiel für durch rechte Strukturen genutzte Immobilien in Ostsachsen, wie ein durch szenenahe Personen für die neonazistische Brigade 8 erworbenes Gelände in Mücka, Gaststätten, Hotels oder weitere Kauf- und Mietversuche.

Wie lässt sich darauf reagieren?

56, ist Geschäftsführerin des Kultur­büros Sachsen. Der Verein berät die demokratische Stadtgesellschaft und eröffnete am Montag ein neues Büro in Görlitz.

Ein wichtiges Anliegen ist es, die Ressourcen, die es kommunalpolitisch gibt, zu stärken und auf die Zivilgesellschaft zuzugehen. Wir beraten Menschen, die uns anfragen, vor Ort in ihren jeweiligen Kontexten und Zusammenhängen. Mobile Beratung kann beispielsweise eine Prozessbegleitung für Initiativen sein, die ihre Ziele, ihre Partnerinnen und Partner und Handlungsfelder abstecken wollen.

Oder wir verbreiten auch Information über rechte Strukturen in der Region beispielsweise bei Elternabenden, Sportvereinen, Kirchengemeinden oder auch in der Kommunalverwaltung. Aus solchen Veranstaltungen entstehen dann beispielsweise Beratungsprozesse in bestimmten Institutionen. Unser Ziel ist, so zu beraten, dass wir irgendwann wieder gehen können: Hilfe zur Selbsthilfe und Empowerment.

Die Landesregierung scheint Ihrer Arbeit gegenüber aufgeschlossen zu sein, bei der Eröffnung des Görlitzer Büros war Sozialministerin Petra Köpping (SPD) anwesend. Das war nicht immer so.

Es gibt inzwischen eine ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit dem sächsischen Sozialministerium. In den letzten fünf, sechs Jahren hat die Staatsregierung eine Haltung eingenommen und eine klare Problembeschreibung erstellt: von der Leugnung von Problemlagen bis hin zur Akzeptanz und des aktiven Umgangs. Das bildet sich auch in der Zusammenarbeit ab. Es gibt regelmäßige Austauschrunden, wir werden über Förderung vom Land unterstützt und bringen gemeinsam Handreichungen und Publikationen raus.

Handlungsmöglichkeiten bestehen auch darin, dass man Analyse und Recherchen noch intensiver zusammenträgt und diese Informationen auch für Bürgermeisterinnen und Bürger­meister sowie in den Landkreisen streut sowie Informations- und Fortbildungsveranstaltungen für die Verwaltungsstrukturen intensiviert. Gemeinsam mit dem sächsischen Sozialministerium haben wir zum Beispiel zwei Workshops gemacht, um die Sensibilität und Wachsamkeit auch in den Behörden zu erhöhen.

Im Jahr 2019 wurde durch Recherchen bekannt, dass im Landkreis Görlitz auch einige Reichsbürger und Rechtsextreme im Besitz eines Waffenscheins sind. Die Behörden haben darauf nicht reagiert. Wird denn ordnungspolitisch in der Region etwas getan?

Zweifelsohne wird etwas getan, indem versucht wird, durch Verbote die Problematik in den Griff zu kriegen. Das hat auch einen Wert, wenn auch vor allem einen symbolischen Charakter, wenn man Strukturen zerschlagen will. Man kann das aber auch infrage stellen, weil trotz Verboten die Menschen natürlich immer noch da sind.

Ordnungspolitik ist ein wichtiger Schritt im Präventionsbereich, aber ersetzt keinesfalls diskursive Auseinandersetzung um Rassismus und Antisemitismus – oder zivilgesellschaftliches Engagement und das Ringen um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Nur Ordnungspolitik ist im Hinblick auf eine demokratische Gesellschaft zum Scheitern verurteilt. Demokratie lebt davon, dass Menschen sich engagieren.

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