Kampf gegen Mietenexplosion: Tschüs, schöne Aussicht
In Leipzig Connewitz regt sich Protest gegen steigende Mieten und Gentrifizierung. Die Entwicklung ist exemplarisch auch für viele andere Städte.
Das Netzwerk nennt sich „Ciao Bella Vista“, Tschüs, schöne Aussicht. In Anlehnung an das geplante „La Vida – Bella Vista“, das neueste Bauprojekt im Leipziger Süden. Immer mehr Neubauten sind in den vergangenen Jahren im Stadtteil Connewitz entstanden, nun ist ein weiteres Quartier geplant.
Der Bauboom ist offensichtlich: Aktuell sind etwa 330 Neubauwohnungen für das Viertel geplant. Mit „Bella Vista“ kommen weitere 111 Wohnungen dazu. Connewitz, bekannt als „Antifa-Area“ Leipzigs, als Ort alternativer Kultur und Kiez der linkspolitischen Szene, wandelt sich.
„Die Neubauten werden das Viertel verändern“, sagt Juliane Nagel, Stadträtin der Linken. Nicht allein kulturell, sondern vor allem im Hinblick auf die sozioökonomische Struktur.Nach Eintreffen der Polizei hat sie heute spontan eine Kundgebung angemeldet.
Die Neubauten heben die Preise im gesamten Viertel
Es sind die Anwohner*innen selbst, die aktiv werden. Junge Familien, ältere Menschen, Aktivist*innen. Man plaudert, spielt, trinkt Tee.„Es gibt genügend kollektive Kräfte, sich Räume zu nehmen, wenn die Stadt weiter privatisiert“, sagt Martin Hinterseer, der Sprecher des Netzwerks.
Die Neubauten heben die Preise für das gesamte Viertel, viele Leipziger*innen können sich die Miete nicht mehr leisten. Damit werden genau diejenigen verdrängt, die das Viertel seit Jahrzehnten prägen.
Die Situation in Leipzig ist exemplarisch für Entwicklungen in ganz Deutschland und eine Debatte, die nicht zuletzt durch den Berliner Mietendeckel wieder aktuell ist. „Wir erwarten nicht von der Stadt, dass sie uns Wohnungen hinstellt“, sagt Hinterseer. „Sondern dass sie aufhört, privaten Investoren öffentliche Räume zu verkaufen.“
In den vergangenen Wochen hat es mehrfach auf Baustellen in Leipzig gebrannt, zuletzt auch in Connewitz. Die Polizei nahm mehrere Personen fest, sprach von Angriffen auf Beamte und Feuerwehrleute, was die Feuerwehr jedoch dementierte. Nichtsdestotrotz sah sich das sächsische Innenministerium alarmiert und kündigte an, das „weitere Vorgehen gegen den Linksextremismus“ zu besprechen. Ein Zusammenhang zwischen den Bränden sieht die Polizei bisher nicht, auch ob die Anschläge überhaupt politisch motiviert waren, ist noch unklar.
„Das ist ein Zeichen dafür, dass soziale Probleme als Sicherheitsprobleme diskutiert werden“, sagt Hinterseer. Sein Netzwerk kritisiert auch, dass die Stadt für den Leopoldpark nicht rechtzeitig einen Bebauungsplan erlassen hat, durch den es möglich gewesen wäre, an der Gestaltung des Geländes mitzuwirken.
Die Aktivist*innen fordern, die Debatte über Mietendeckel und Enteignungen auch in Leipzig zu führen. Es ist zu erwarten, dass Investoren zunehmend ihre Fühler auch nach Leipzig ausstrecken. Ob Angebot und Nachfrage sich ausgleichen, wird sich zeigen müssen. Bislang stehen viele Wohnungen in den glänzenden Neubauten noch leer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten