Kampagnen-Gründerin über Grundeinkommen: „Wir wollen, dass es vorangeht“
Hamburg soll es mit dem Grundeinkommen wenigstens versuchen, findet eine dortige Initiative. Und wirbt dafür nun mit dem Film „Free Lunch Society“.

taz: Laura Brämswig, warum beginnen Sie ihre Unterschriftenkampagne mit einer Filmvorführung?
Laura Brämswig: Weil der Film „Free Lunch Society“ wunderbar zu unserem Thema passt. Die Mitbegründerin unserer Initiative Joy Ponader tritt sogar selber darin auf – es gibt also auch noch eine persönliche Verbindung.
taz: Was für ein Film ist es?
Brämswig: Ich würde ihn als Dokumentation beschreiben: Er begleitet Menschen, die sich für das Grundeinkommen einsetzen. In dem Sinne dokumentiert er auch deren Meinungen. Aber für mich ist er kein Propagandafilm. Er will die Leute nicht überzeugen, sondern erzählt stattdessen, was in den vergangenen Jahrzehnten zum Thema Grundeinkommen passiert ist.
taz: Heraus gekommen ist „Free Lunch Society“ im Jahr 2016. Ist der Film heute noch aktuell?
Brämswig: Ja, denn es hat sich leider seitdem politisch nur wenig verändert. Das ist auch der Grund, warum wir unsere Kampagne gestartet haben: Wir wollen, dass es jetzt vorangeht.
taz: Haben Sie selbst beim Ansehen etwas erfahren, das Sie noch nicht gewusst hatten?
Brämswig: Ja, zum Beispiel dass es in den USA schon in den 1960er-Jahren unter Präsident Lyndon B. Johnson politische Überlegungen zum Thema Grundeinkommen gab. Ich war sehr überrascht darüber, dass dies gerade in solch einem extrem kapitalistischen System möglich war.
taz: Welchen politischen Ansatz verfolgt Ihre eigene Initiative, „Hamburg testet Grundeinkommen“?
Brämswig: Es geht dabei um eine politische Entscheidung, die man nur gesamtgesellschaftlich umsetzen kann. Und deshalb wollen wir eine direktdemokratische Abstimmung. Wir haben einen Gesetzentwurf geschrieben, durch den ein Modellversuch in Hamburg umgesetzt werden soll. Dafür haben wir ein Volksbegehren gestartet, und wir sind jetzt in der Phase des Sammelns von Unterschriften.
taz: Wie geht es weiter?
Brämswig: Zwischen dem 20. August und dem 30. September können Menschen dafür unterschreiben, dass es einen Volksentscheid geben soll, bei dem parallel zur Bundestagswahl ganz Hamburg darüber entscheiden kann: Wollen wir als Stadtgemeinschaft diesen Modellversuch durchführen? Dies wäre das erste Mal, dass Menschen in Deutschland auf Wahlzetteln über so etwas abstimmen können.
taz: Gibt es in anderen Ländern Erfolge solcher Experimente?
Brämswig: Ja, das spannendste Beispiel ist ein Modellversuch, der in Katalonien kurz vor dem Start steht. An ihm werden viele Menschen teilnehmen und dabei werden auch verschiedene Varianten getestet. Und das wurde von der katalanischen Regierung in Auftrag gegeben.
Screening „Free Lunch Society: Komm komm Grundeinkommen“: Do, 8. 8., 18.30 Uhr, Hamburg, 3001-Kino, Schanzenstraße 75. Eintritt frei
taz: Aber Ergebnisse gibt es noch nirgends?
Brämswig: Doch, es gab einen Modellversuch in Finnland, der inzwischen abgeschlossen ist. Da bekam eine Gruppe ein bedingungsloses Grundeinkommen, die Kontrollgruppe die normalen Sozialleistungen. Man hat herausgefunden, dass die Leute in beiden Gruppen gleich schnell Arbeit gefunden haben. Aber die mit dem Grundeinkommen waren gesünder, hatten weniger psychische Probleme, waren glücklicher. In der neoliberalen Presse stand dann, dass der Versuch gescheitert sei: Weil nicht mehr Menschen Arbeit gefunden haben. Aber wenn man überlegt, dass es den Staat das Gleiche gekostet hat, es den Menschen aber effektiv besser ging, dann ist das eigentlich ein Erfolg für die Gesellschaft.
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